Ankunft in Philadelphia
Mein Abenteuer Philly beginnt in Frankfurt. Jedoch nicht am Flughafen Frankfurt, sondern 3 Wochen zuvor. Für das Auslandssemester benötigt man ein Studierenden-Visum und muss dazu ein amerikanisches Konsulatbesuchen. Zuvor hatte man nur „die wenigen“ behördlichen Formulareausfüllen müssen. DS-160, F-1, SEVIS … – hinter diesen spannenden Abkürzungen stehen zumeist Gebühren und lange Formblätter. Nachdem diese alle abgehakt wurden (Schreibe ich meinen Nachname als Grünewald, Gruenewald oder Grunewald?) und die Kreditkarte begann zu glühen, standendem Termin und Gespräch nichts mehr entgegen. Es sollte ein erster Eindruck der USA mitten in Deutschland werden. Keine Taschen, keine Handys, Sicherheitstüren, Sicherheitscheck, Körperkontrolle und entspannte SecurityGuards. Nachdem das ganze Prozedere geschafft war, wurde mein Reisepass mit „approved“ eingesammelt und sollte in den kommenden Tagen postalisch zugestellt werden.
Auch meine Gesundheit wollte ich vor dem Auslandssemester nochmal gründlich checken lassen, so dass in der USA ja nichts passiert. (Spoiler: Es hat ganze 4 Tage gehalten). Zahnarzt, Hausarzt, Impfen und Podologie standen auf dem Programm. Auch die letzten Tage vor dem Abflug standen ganz im Zeichen der USA, Verabschiedungen, Vorfreude gepaart mit Wehmut und der Frage was und wie nehmeich alles mit? Seit Monaten hatte ich eine lange Liste in die Notizen App des Handys getippt. Doch die Frage, welchen Koffer ich mitnehme, hatte ich vergessen! Am liebsten wäre mir der brandneue Koffer meiner Eltern gewesen, aber sie lehnten ab. Dann dochder (ur)alte Koffer von Onkel Hans oder die Tennistasche vom Dachboden? Es wurde der Schalenkoffer von Omi, da dort die Rollen noch funktionierten. (Danke Oma ☺)
Alles zusammengepackt, 3x überprüft,ob auch wirklich der so wichtige Reisepass dabei ist,und ab mit mir in den Zug zum Frankfurter Flughafen. Direktflug FRA nach PHL mit dem Jumbojet der Lufthansa. Die Luft im Flieger wurde dann auch ganz schön eng, als zwei gut gebaute Männer neben mir Platz nahmen und für die kommenden 8 h meine Sitznachbarn wurden.
Ankunft am Flughafen PHL um 15.50 Uhr Ortszeit. Neben mir in der Schlange zum Einreisen: Ein junger Mann, ich schätzte ihn auf 19 Jahre. Ich sprach ihn an in der Vermutung, ob er auch ein Temple International Student sei. Er verneinte und berichte mir in gebrochenem Englisch, dass er hier ein Jahr auf die High School gehen werde. Er war 15, stammte aus Polen und war ziemlich nervös. Wer sollte es ihm verdenken, ich half ihm ein wenig mit dem Einreiseprozedere, spendete ihm mobiles Internet und wünschte ihm eine gute Zeit.
Auf mich warteten glücklicherweise Studierende meiner Uni Temple, die mich begrüßten und mit einem Temple Bus vom Flughafen aus direkt zur Uni fuhren. Da war ich nun. Benjamin, 27, zum ersten Mal auf amerikanischen Boden. Klassisch, buchte ich mir ein Uber um von dort zu meiner Wohnung zu gelangen. Nach etwa 25 min kam ich tatsächlich an.
Meine Wohnung habe ich über eine Facebook-Gruppe gefunden. Auf Empfehlung der ehemaligen Erfurter Temple Studierenden suchte ich nach einer Off-Campus Wohnmöglichkeit und wurde in einem kleinen Haus in einem ruhigeren Viertel Phillys von meinem Vermieter und meinen Mitbewohnern herzlichst empfangen. Mein kleines Zimmer mit einem privaten kleinen Bad konnte ich zum ersten Mal betreten. Ich war sehr müde, Ortszeit war es mittlerweile 21.00 Uhr. Jedoch tickte mein Körper noch nach deutscher Uhr. Die 6 h Unterschied machten sich bemerkbar (3 Uhr nachts MESZ) und ich fiel ins Bett.
In den kommenden Tagen lernte ich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen kennen, die auch als Austauschstudierende ein Semester an der Temple University studieren werden. Sie kommen vornehmlich aus Taiwan, Südkorea, Brasilien und Deutschland. Wir erfuhren die Abläufe an der Uni, machten Schnitzeljagd über den Campus und feierten gemeinsam einen Spieleabend mit Exitgames, Roulette und Poker (mit Spielgeld und ohne Bankrott). Als krönender Abschluss stand ein gemeinsamer Beach-Trip nach Ocean City an den Atlantik auf dem Plan. Das Wetter spielte dort leider, im Vergleich zu den vorherigen Tagen, nicht mit. Es waren knapp 20 Grad und bedeckt. Als uns kurz vor Abfahrt des Busses ein Platzregen überraschte, mussten wir schnell rennen. Die Gullis waren binnen kurzer Zeit überfüllt und das Wasser stand tief auf der Straße.
Ich sprang über die tiefen Pfützen und rannte zum Bus. Als ich versehentlich in eine sehr tiefe Pfütze sprang, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte auf den Bürgersteig. Jetzt löst sich auch der Spoiler von oben auf. Glücklicherweise zog ich mir nur eine starke Schürfwunde am Knie und blaue Flecken an den Händen sowie ein (zum Trend gewordener) Schnitt in meiner Jeans zu.
Trotz dieses Fauxpas konnte ich die Stadt bereits in der ersten Woche ziemlich gut kennen lernen. Es ist bemerkenswert, Philadelphia zu erforschen. Viele Parallelwelten. Auf der einen Seite der gepflegte Campus, der mit eigener Campus-Polizei ausgestattet ist, Kino und Fitnessstudio(s) gratis zur Verfügung stellt, und auf der anderen Seite Straßen und Häuser, die sehr renovierungsbedürftig sind und in denen scheinbar große Armut herrscht.
Da ich etwa 45 min mit dem Bus oder dem AMTRAK in die Stadt fahre, habe ich die Möglichkeit, auch ein klein wenig über den Tellerrand des Campusviertels zu schauen. Viele Studierende haben sich für die (sehr teure) Möglichkeit des Wohnens auf oder in Campusnähe entschieden. Ich bin froh darüber off-Campus zu wohnen. Ich möchte gern die amerikanischen Menschen kennen lernen. Das kann ich gut in meiner amerikanischen WG. Ich wohne mit dem 26 jährigen Nathan zusammen, er hat gerade seinen Abschluss an Temple gemacht und beginnt seinen ersten Job in einigen Wochen! Das dritte Zimmer gehört Kristen, die sich selbst als Hippie sieht und viel von Zuhause aus arbeitet.
Mittlerweile ist die erste Uniwoche zu Hälfte um. Es gibt an der Temple Universität schier endlose Möglichkeiten an Aktivitäten. Sei es in einem der über 500 social clubs, den Spielen der Temple Basketball, Baseball, Football oder Soccer Teams oder mit anderen Freizeitaktivitäten. Patriotismus zur eigenen Universität wird hier großgeschrieben. Fast jeder trägt ein Temple–Shirt oder anderes Merchandise. Zugleich ist es für mich (und vermutlich auch für die meisten anderen) ein sehr herausforderndes Studium. Die Seminare bedürfen eines immensen zeitlichen Aufwands, die Literaturliste ist lang und es müssen regelmäßig Tests oder Essays abgegeben werden. Das wird für mein Ausdrucksfähigkeit eine gute Erfahrung werden und mit Sicherheit meine Sprachkenntnisse auf ein anderes Niveau heben. Das ist, neben den USA Erfahrungen und Freunden, das Hauptziel dieses Studiums. Und mein eigenes geschichtswissenschaftliches Studium wird vorangetrieben. Auch bin ich froh, wieder bei dem Kurs „Tell me about your past“ mitzumachen. Dieser verbindet die beiden Städte Erfurt und Philadelphia und auch die Universitäten Temple und Erfurt. Die ersten Eindrücke und Erfahrungen sind überwältigend, sie werden mich wahrscheinlich lange prägen. Dafür bin ich sehr dankbar!
Ankunft in Philadelphia von Benjamin Grünewald