Geschichte studieren im Ausland – Meike Katzek (2021)

Geschichte studieren im Ausland

Die Lerneffekte der drei Seminare, die ich während meines Auslandssemesters an der Temple University besuche, erfahre ich als sehr bereichernd und förderlich für meinen weiteren Studienverlauf. Managing History, ein Public History Seminar, Historical Methods, ein Methodenseminar, und Topics in History, ein Seminar zur Wissenschafts- und Technologiegeschichte, bieten vielseitige Einblicke in unterschiedliche Themen, Historiographie und Arbeitsprozesse der geschichtswissenschaftlichen Disziplin. 

Wenn auch die vielbefahrene North Broad Street täglich lärmt und der Müll auf den Gehwegen manchmal nervt, habe ich in meinem hiesigen Seminar für Public History die besondere urbane Lage der Temple University zu schätzen gelernt. In dem Seminar lerne ich nicht nur über die demokratische Arbeitsweise und partizipative Methode, denen sich Public Historians verschrieben haben, sondern auch die durchaus konfliktgeladene Rolle einer Universität in ihrem urbanen Umfeld anzuerkennen. Campuskultur bedeutet nicht nur Temple-Hoodies, College Football Spiele und Engagement für den Campus Club. Es sind ebenso die Gründungsmythen aus der Zeit des Civil War, die universitäre Expansionspolitik und die Beziehungen zur afro-amerikanischen Lebenswelt der North Philadelphia Neighborhood, die den Charakter dieser vielseitigen Institution ausmachen und die Bedeutung eines Studiums an der Temple University formen.

Gegenüber den pointierten Einblicken in die Campus-Geschichte in dem Public History Seminar öffnet das Methodenseminar die Perspektive auf die historiographischen Horizonte der modernen Geschichtswissenschaft, wie sie an Temples History Department praktiziert wird. Bestimmt durch die Schwerpunkte des Departments in Diplomatic and Military History (siehe Center for the Study of Force and Diplomacy) sowie in Environmental und Urban History lesen wir wöchentlich Werke, die grundlegend für ihr jeweiliges Feld waren oder neueste intellektuelle Interventionen darstellen. Das Seminar zur Wissenschaftsgeschichte hat einen ähnlichen Fokus auf die Erarbeitung von aktuellen Werken, die für das Forschungsfeld wichtig sind.  Besonders interessant ist es in diesen Seminaren festzustellen, wo die akademischen Verbindungen, aber auch Unterschiede zu den Publikationen und methodischen Herangehensweisen der deutschen Forschungslandschaft liegen.

Nicht nur sind die Arbeitsanforderungen in den Seminaren höher als an der Universität Erfurt, die Diskussionskultur ist ebenso eine andere. Die aktive Diskussionskultur und das Formulieren von diskussionswürdigen Fragen auf Grundlage der Texte wird in sog. ‚Discussion Leaderships‘ gefördert. Hier wird jede*r Studierende mindestens einmal dazu verpflichtet, die Lektüre der Woche vorzustellen und mit vorbereiteten Fragen die Diskussion zu leiten. Die Beteiligung ist hier oft hoch und die Professor*innen geben Hilfestellungen. Da der Leseumfang in Form eines Buches plus ein oder zwei wissenschaftliche Journalartikel deutlich größer ist, geht die regelmäßig angeregte Diskussion mit den Kommilitonen allerdings oft nicht ins Detail der Texte. Dafür schließen sich an den Austausch über These, Methode und Quellen der Werke häufig interessante Überlegungen an, die über den Inhalt des Buches hinausgehen. Verortungen im weiteren historiographischen Kontext, mögliche weiterführende Fragestellungen sowie Überlegungen über Publikationsprozesse sind häufig ebenso Themen der Seminardiskussionen. Vor dem Hintergrund, dass an der Temple University die Seminare von Graduate Studierenden besucht werden, die in ihren Programmen nicht nur auf Masterabschluss, sondern auch auf ihren PhD hinarbeiten, ist das wahrscheinlich wenig überraschend. Insbesondere für Studierende, die planen nach dem Masterstudium eine Promotion zu verfolgen, ist ein solch offener und reflektierter Umgang mit der Suche nach Dissertationsthemen und Publikationsprozessen nicht nur hilfreich, sondern eine wichtige Ergänzung der inhaltsorientierten Ausbildung um das pragmatische know-how des akademischen Arbeitens. Allerdings ist das Sich-Zurechtfinden in der Historiographie eines Forschungsfeldes und die Fähigkeit davon ausgehend eine Fragestellung zu formulieren durchaus Voraussetzung, um die Abschlussarbeiten der Seminare in Form eines historiographischen Essays zu meistern. Im Gegensatz zu Erfurter Hausarbeiten wird hier nicht erwartet historische Quellen zu nutzen und die Fragestellung aufgrund dieser zu formulieren. Das Auseinandersetzen mit der aktuellen Literatur soll vielmehr zu einer Fragestellung hinführen, die möglicherweise in einer Dissertation behandelt werden könnte.

Das ergebnisorientierte Arbeiten ist ebenso in weiteren Schreibaufgaben zu erkennen. Während des Semesters wird von den Seminarteilnehmer*innen gefordert, prägnante Inhaltszusammenfassungen von akademischen Büchern in Form von Book Reviews einzuüben. Denn Buchrezensionen in akademischen Fachzeitschriften sind Publikationen, die oft auch von Graduate Studierenden verfasst werden. Diese Aufgaben schulen nicht nur eine genaue schriftliche Ausdrucksweise, sondern bereiten auch auf mögliche zukünftige Arbeit vor. Das zeitökonomische Erfassen der Buchinhalte durch bestimmte Lesestrategien ist eine weitere Fähigkeit, die die hiesigen Seminare erfolgreich vermitteln.

Mag das Arbeitspensum anspruchsvoll sein, machen die Lerneffekte die Anstrengungen wett. Insbesondere für Studierende, die nach ihrem Master noch eine Promotion verfolgen möchten, ist das Auslandssemester an der Temple University sehr zu empfehlen. Aber auch auf die bevorstehende Masterarbeit kann schon einmal hingearbeitet werden durch die Erkundung der Historiographie eines Forschungsfeldes. So oder so wird es sich lohnen!



Geschichte studieren im Ausland von Meike Katzek