Philadelphia Experience – Paul Skäbe (2021)

Philadelphia Experience

Nach 15 Stunden Flug (mit umsteigen), 24 Stunden hoffen in Newark, dass mein Gepäck sich nur verspätet und nicht verloren ist (nur verspätet), und zwei Stunden Busfahrt (der entspannte Teil meiner Anreise) komme ich endlich in Philadelphia an. Der erste Eindruck: laut, chaotisch und heiß – Mitte August sind es gerne mal an die 40°C. Mit der U-Bahn geht es weiter vom Stadtzentrum Richtung Temple University, Direktverbindung, ein Glück! Jetzt noch den Backpacker ein paar Blöcke zu meinem Appartement bewegen. Mit letzter Kraft schleppe ich mich in mein Zimmer und falle ins Bett für einen langen und tiefen Schlaf.

Zugegeben, meine Anreise hatte nicht vielversprechend begonnen – aber in den nächsten Tagen mache ich meine ersten nicht-erschöpften Schritte in der Stadt und die ersten Eindrücke werden durch viele neue ersetzt. Die Temple University liegt in North Philadelphia, eines der ärmeren Gebiete der Stadt mit einer hohen Kriminalitätsrate. Dennoch habe ich mich bisher noch nie unsicher gefühlt. Im Gebiet um die Uni haben sich aber in den letzten Jahren zunehmend Studierende angesiedelt und es entwickelt zunehmend den Charakter eines Uni-Viertels – gerade an den Wochenenden ist hier viel los, überall sind junge Menschen unterwegs und es werden auch gerne mal wilde Partys gefeiert. Der Campus der Universität liegt zentral an der Broad Street, einer der Hauptstraßen Philadelphias. Hier befinden sich nicht nur die Bibliothek und die Vorlesungsgebäude, sondern auch ein Supermarkt, viele kleinere und größere Restaurants (inkl. Temple’s famous food trucks), sowie die verschiedenen Sportanlagen der Universität. Wer wollte, könnte das ganze Semester auf dem Campus verbringen. Aber wer will das schon?

Phildelphia hat für jeden Geschmack etwas anzubieten: Viele kleinere und größere Parks zum Joggen, Picknicken oder einfach nur zum Sonnen; tolle Restaurants und Bars in allen Formen und Farben (besonders zu empfehlen: Fishtown, DAS Szeneviertel in Philly); Konzerte für alle Geschmacksrichtungen; Teams in allen großen US-Sportarten; Museen; Shoppingmöglichkeiten bis zum Umfallen (von High-End bis Second-Hand); und vieles mehr – unterm Strich: es wird ganz bestimmt nicht langweilig. Und wenn doch, dann sind New York City, Baltimore, Washington D.C., Atlantic City (Glücksspiel in den USA erst ab 21) und die Atlantikküste schnell und für US-Verhältnisse relativ entspannt mit Bus oder Bahn zu erreichen. Aber wie jede/r Studierende hoffentlich weiß (spätestens im Master ;), es gilt Work und Life auszubalancieren.

Was also ist auf der Arbeitsseite zu erwarten? Zunächst: Ein Seminar in den USA bedeutet im Semester einen deutlich höheren Arbeitsaufwand. Das Kursminimum zur Belegung liegt bei drei Kursen und ich würde definitiv empfehlen, es auch dabei zu belassen. Pro Seminar pro Woche wird in der Regel ein komplettes Buch gelesen, gelegentlich auch mal eins mit 600 Seiten. Meistens müssen auch kleinere Aufgaben wöchentlich eingereicht werden, z.B. ein Exzerpt des Buches oder eine kurze Reflektion über das Wochenthema. Dafür sind die Abschlussprüfungen in meinen Kursen recht entspannt – ein Essay über ca. fünf Seiten. Das Diskussionsniveau in den Kursen ist hoch, aber ich habe nie das Gefühl gehabt abgehängt zu werden. Insgesamt macht mir die Uni riesigen Spaß: viele interessante Texte und Themen, tolle Dozierende, unwahrscheinliche Ressourcen (ich habe noch nicht ein Buch nicht in der Bibliothek finden können) und eine großartige und engagierte Diskussionskultur. Es ist viel, aber wenn man sich darauf einlässt,  dann ist es ein echtes und lehrreiches Vergnügen!

Auch die Kommilitoninnen sind sehr nett und aufgeschlossen, über den Barnes Club, ein Verein der Geschichtsstudierenden, werden regelmäßig Veranstaltungen wie Kaffeerunden oder Barbesuche organisiert. Auch das Global Students-Büro organisiert verschiedene Angebote, über die man super Kontakt zu internationalen Studierenden gewinnen kann – wir haben zum Beispiel ein Fußballteam für die Amateurliga gegründet.

Alles in allem sind Philadelphia und die Temple University bisher (für mich ist gerade Halbzeit) eine großartige Erfahrung. Am Anfang gibt es auf jeden Fall eine Umgewöhnungsphase – die USA sind Europa zwar in vielen Dingen ähnlich, aber gleichzeitig doch sehr anders: lauter, größer, chaotischer – aber nachdem ich mich hier eingelebt und orientiert hatte, habe ich sowohl in der Uni wie auch in der Freizeit viele neue Dinge entdecken können, tolle Erfahrungen gemacht und vieles über mich und die USA gelernt. Auch wenn es jetzt so langsam kälter wird, es ist Mitte Oktober, bin ich doch sicher, dass es auch so weiter gehen wird.


Philadelphia Experience von Paul Skäbe