Im Rahmen unseres bürgerwissenschaftlichen Forschungsprojekts “Kino in der DDR” sind wir auf die Unterstützung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen angewiesen, die uns an ihren Erinnerungen rund um das Kino und den Film in der DDR teilhaben lassen. Viele interessierte Bürgerinnen und Bürger sind unserem Aufruf bereits gefolgt und haben uns ihre Geschichten geschildert. Darunter erreichte uns auch eine Zuschrift des Zeitzeugen Joachim Flex, der in den 60er-Jahren als Jungschauspieler in der DEFA-Produktion “Der Tod hat ein Gesicht” mitwirkte und uns aus dieser aufregenden Zeit erzählt.
Von Joachim Flex
Einmal im Schuljahr fanden in den damaligen zehnklassigen Polytechnischen Oberschulen Elternbeiratswahlen statt. Die gewählten Elternvertreter legten Rechenschaft vor der gesamten Elternschaft der Schule über die geleistete Arbeit ab und stellten sich erneut zur Wahl. Ein unspektakuläres Ereignis. Die meisten Eltern bekundeten aber durch ihre Teilnahme zumindest Interesse am Lernerfolg ihrer Kinder. Zu dieser Veranstaltung war es üblich, dass Schüler ein kleines Programm aufführten. So auch am 31. Januar 1960. Ein Lehrer lieferte die Textvorlage für einen Sketsch, in dem es um richtiges Verhalten im Straßenverkehr ging und ich die Rolle eines Autofahrers übernahm. Für die Szene musste ich einige Seiten Text lernen, wurde wie immer in solchen Fällen von meiner Oma fesch eingekleidet und saß mit Sonnenbrille in einem ziemlich kleinen Kindertretauto. Wahrscheinlich wurde ich für die Rolle wegen meiner geringen Körpergröße ausgewählt. Jedenfalls muss ich dem Klischee eines Cabrio-Fahrers im Aussehen und im Auftreten gut entsprochen haben. Nach der Aufführung bekam ich viel Beifall und Zuspruch für mein Schauspiel und einige Lehrer erkannten wohl mein Talent.
Ein Casting, das gar keins war
Als im Juni 1961 die DEFA den Film “Der Tod hat ein Gesicht” auf dem Görlitzer Untermarkt drehen wollte, suchte die Produktion im Vorfeld nach Kindern, die als Statisten im Film mitwirken sollten. Eine Rolle war dabei für einen Jungen vorgesehen, der eine Sterbeszene spielen sollte, weil er giftige Dämpfe aus einer zufällig gefundenen Ampulle einatmet. Zur damaligen Zeit gab es kein Casting für die Besetzung. Die Regieassistentin ging mit einem kleinen Stab in die umliegenden Schulen und fragte die Schulleitung oder Lehrkräfte nach möglichen Talenten, die für die Rollen in Frage kämen. In einem Fall wurde ein blonder Knabe im Alter von etwa zwölf Jahren gesucht und da ich diesem Typ entsprach, viel die Wahl auf mich. Und dann ging alles sehr schnell: Nachdem der Regisseur Joachim Hasler grünes Licht gegeben hatte, wurde ich mit Trachtenjacke und Lederhose eingekleidet und bekam als zusätzliches Accessoire einen Wohnungsschlüssel um den Hals gelegt.
So wurde bei den Filmaufnahmen getrickst – und ich einer Illusion beraubt
In meiner Rolle hatte ich einige verschiedene Szenen zu drehen. Für die Nahaufnahmen wurde ich geschminkt (und anschließend wieder abgeschminkt). Mehrmals wurde während der Dreharbeiten meine Kleidung kontrolliert, damit nicht von Tag zu Tag bzw. von Szene zu Szene Unterschiede auftraten. Meine Schlüsselszene im Film, in der ich die Ampulle unter einem Zigarettenautomaten finde, die Substanz einatme und mit zitterndem Gesicht sterbe und schließlich auf den Görlitzer Untermarkt falle und mit Schaum übersprüht werde, lief während der Dreharbeiten viel unaufgeregter ab, als Außenstehende vielleicht zunächst denken würden: Der Automat war ein Nachbau aus Pappe, ich “stürzte” auf eine Luftmatratze und mit dem Schaum aus dem Feuerlöscher wurde gar nicht ich, sondern lediglich eine Schaufensterpuppe besprüht — ich wurde sozusagen gedoubelt! Als Zehnjähriger lernte ich in knapp drei Wochen viel über die Entstehung eines Filmes, über die Täuschungen und Tricksereien bei den Aufnahmen, so dass es mich in vielerlei Hinsicht ernüchtert hat.
Mit dem BMW zur Premierenfeier nach Berlin
Zur Premiere des Films in Berlin am 23. November 1961 im Filmtheater “Colosseum” war ich als Gast des Progress-Filmverleihs eingeladen worden. An diesem Tag wurde ich morgens in einem PKW der Marke BMW in meiner Heimatstadt Görlitz abgeholt und in das Berliner Hotel “Unter den Linden” gebracht. Zur Filmpremiere im Colosseum wurde ich auf die Bühne geholt und mein Schauspielerkollege Günter Simon schenkte mir eine elektrisch angetriebene Spielzeugraupe mit Schiebeschild. Außerdem erhielt ich noch Blumen überreicht und wurde beim Verlassen des Podiums mit einem anhaltenden Applaus durch das Publikum verabschiedet.
Am Abend, als ich mit meinen Eltern im Hotel “Unter den Linden” in Berlin übernachtete, ließ ich die gesamte Premierenfeier noch einmal vor meinem geistigen Auge Revue passieren, bevor es am darauffolgenden Tag wieder nach Görlitz ging. Dort fand noch am selben Tag, den 24. November 1981, abseits der Großstadt die zweite Premierenfeier im Filmtheater “Palast” statt, zu der dann auch zahlreiche Verwandte und Bekannte kommen konnten.
Mein Vater arbeitete zu dieser Zeit im Bauamt des Rathauses der Stadt Görlitz. Direkt davor fand damals auch ein Teil der Dreharbeiten statt. Und wie mir mein Vater erzählte, ließen sich die Damen und Herren Kollegen auch gern einmal von den Geschehnissen vor ihren Bürofenstern ablenken. Seitdem wurden die Flex-Jungen in der Stadt noch mehr wahrgenommen. Da mein Bruder zwar mein jüngerer, aber später nicht mehr der kleinere Bruder war, gab es für mich ab diesem Zeitpunkt das Alleinstellungsmerkmal “der Schauspieler”.
Das Projektteam von “Kino in der DDR” möchte sich an dieser Stelle ganz herzlich bei Joachim Flex für seine Schilderungen und die Bereitstellung der privaten Fotoaufnahmen von den Dreharbeiten bedanken.
In welchem Kino haben Sie den Film “Der Tod hat ein Gesicht” gesehen? Welche Erinnerungen haben Sie an die Schauspielerinnen und Schauspieler der Produktion? Waren Sie vielleicht selbst einmal Statistin oder Statist in einem DDR-Film? Schreiben Sie uns Ihre Geschichte an kino-ddr@uni-erfurt.de oder teilen Sie Ihre Erinnerungen und Erlebnisse auf unserer virtuellen Forschungsplattform und helfen Sie uns, diese einmalige Kinokultur vor dem Vergessen zu bewahren: https://projekte.uni-erfurt.de/kinoinderddr/.
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