Von Matthias Salchow (Heimatfreunde Hohen Neuendorf e. V.)
Vis-á-vis dem ehemaligen Bahnhof Birkenwerder residierte ehemals das Restaurant “Zum Boddensee”, von dem gleichlautenden Gewässer jedoch ein ganzes Stück entfernt. Der erste Besitzer namens Ebel bot seinen Gästen 1898 neben Saal, Vereinszimmer und Glasveranden einen 500 Personen fassenden Biergarten. Am Rande des Terrains sollte später ein Kino entstehen. Heute, schon lange nicht mehr als Gaststätte genutzt, wurden die Reste des verfallenden und ausgebrannten Gebäudes nach mehr als 100 Jahren Nutzung im Sommer 2005 abgerissen.
Anfänge der Boddenseeer-Lichtspiele
Grundstückseigentümer Otto Brandt erlaubte sich einen Clou, dem modernen Trend entsprechend. Im September 1926 stellte dieser einen Antrag zur “Aufstellung eines Schaukastens für die Boddensee-Lichtspiele.” Das nun für Kinozwecke genutzte Gebäude war einst ein Nebengelass der Gaststätte im linken Teil des Gartens. Der Gemeindevorstand Birkenwerder erläuterte dem Grundsteuerausschuss 1931, es würde sich um “ein altes Sommerhaus” handeln, “eine früher offene, später verglaste Halle. […] Diese Halle ist in Friedenszeiten im Sommer als Sitzgelegenheit für den Lokalgarten und im Winter als Unterstellraum für die Gartenmöbel benutzt worden.”
Seit 1926 lief das Kino vorerst in provisorischer Form mit hineingestellten Stühlen und einer transportablen Kinoanlage. Otto Brandt schien mit dem Zuspruch zufrieden und beantragte im Sommer 1928 eine “Dauererlaubnis zum Umbau der Halle” mit “Bauerlaubnis für eine Kinoanlage.” Dem wurde stattgegeben und das Polizeibüro vermeldete: “Der Umbau ist ausgeführt, der Gebrauchsabnahmeschein wurde am 04.02.1931 erteilt.” Jene sehr umfangreichen Umbauten erfolgten in den Jahren 1928/29 und bestanden in einer Verstärkung der Wände, dem Einziehen einer Decke für das Lichtspieltheater und Installation von Kinotechnik sowie 210 Klappsitzen.
Handschriftlich mahnte das Kreispolizeiamt Niederbarnim auf der Bauzeichnung vom Juli 1928: “Über den Ausgängen sind Notbeleuchtungen anzubringen!” Gleichzeitig erhielten die im Vorderbereich anhängenden Zimmer (ehemals Speiseräume) für Wohnzwecke einen Veranda- und Küchenanbau.
Der “Briesetal-Bote” lockte am 4. April 1929 mit folgender Anzeige:
“Kammerlichtspiele Boddensee Birkenwerder. Die allerneueste, schönste und größte Darbietung Reinhold Schünzels, des Lieblings des Volkes: Aus dem Tagebuch eines Junggesellen (Weimarer Republik, 1928, Regie: Erich Schönfelder). Reinhold Schünzels neuester Groß-Lustspielschlager, ein modernes, tolles, köstliches Spiel vom Junggesellen und seinem Anhang. Lacherfolg ohne Ende, 7 Akte. Dazu: Der erste Kuß (Weimarer Republik, 1928, Regie: Karel Lamač). Ein ganz wunderbarer, entzückender Film mit Anny Ondra in 7 Akten. Bestes Künstler-Konzert am Platze. Freitag bis Sonntag. Anfang 8 Uhr.”
Kaum hatte das jungfräuliche Kino seinen Betrieb aufgenommen, als sich bereits erhebliche Kümmernisse ergaben. Brandt verkaufte einen Teil des Grundstücks an einen Herrn Maass. Durch die Zweiteilung des Anwesens kam es zu Konflikten zwischen den zwei Besitzern. Insbesondere die sanitären Einrichtungen waren Ursprung der Streitereien. So berichtete ein Polizeiobersekretär im Namen des Amtsvorstehers, dem Gewerbeaufsichtsamt Osthavelland-Ruppin am 19. Juni 1929 über die resultierenden Problematiken der Konfliktparteien.
So ging es ja nun nicht und eilig wurde Abhilfe geschaffen. Zum Bauschein Nr. 93 vom 23. Juli 1929 gehörte eine Zeichnung zum Klosettbau am Kino auf dem Grundstück des Herrn Otto Brandt. Im hinteren Teil des Kinogeländes positionierte sich eine sogenannte “Schamwand” vor den geschlechtergetrennten Eingängen zu der primitiven Lokusanlage mit “Kastensystem.” Der Abstand zum hinteren Nachbarn musste mindestens 2,50 Meter betragen, vermutlich wegen etwaiger Geruchsbelästigung.
Die stets problematische Bedürfnisanstalt dieses Kinos wird sich wie ein roter Faden durch die nachfolgenden Ausführungen ziehen. Der vorangehend erwähnte Kinopächter Römer gab nur ein kurzes Gastspiel. Denn nun, wo das Kino richtig etwas hermachte, kam Fräulein Gertrud Michaelsen, Jahrgang 1894, ins Spiel. Sie schloss noch 1929 einen Pachtvertrag mit Otto Brandt ab und agierte als Kinobetreiberin.
Leitung unter Gertrud Michaelsen und die Problematik mit der Abortanlage
Im November 1933 stellte Gertrud Michaelsen einen Antrag “zur Aufstellung eines Reklamekasten für Lichtspielzwecke auf dem Grundstück in Birkenwerder, Am Bahnhof 1a.” Dieser 2,45 Meter breite Schaukasten sollte rechts vor dem Haus und schräg zur Straßenfront stehen. Am 18. Juni 1934 entschied der Gemeindeschulze: “Bedenken gegen die Aufstellung bestehen nicht, sofern eine Verunstaltung der Umgebung ausgeschlossen ist.” Otto Brandt war sich nicht zu schade, unsinnige und anrüchige Handlungen zu begehen.
Somit ereilte ihn am 12. April 1934 eine strenge Rüge des Amtsvorstehers:
“Wie festgestellt worden ist, haben Sie bei der Entleerung der Abortanlage am Kino die Fäkalien auf Ihrem Grundstück neben dem Kinogebäude vergraben lassen, was in gesundheitspolizeilicher Hinsicht unzulässig ist. Auf Grund der §§ 14, 33, 55 und 57 des Polizeiverwaltungsgesetztes vom 1.6.1931 in Verbindung mit dem § 22, Ziffer 1, der Baupolizeiverordnung vom 12.11.1925 untersage ich Ihnen hiermit das weitere Vergraben der Fäkalien (Abfallstoffe) aus der Abortanlage am Kinogebäude. Diese sind in Zukunft abfahren zu lassen, oder anderweitig unterzubringen. Sollten Sie trotzdem gegen diese Verfügung verstossen, sehe ich mich veranlasst, gegen Sie ein Zwangsgeld in Höhe von RM 50.– und für den Unvermögensfall eine Zwangshaft von 6 Tagen festzusetzen.”
Der in Gang gesetzte Kriminalassistent Lemke vermeldete am 23. April, es seien sämtliche Mängel abgestellt. Am 26. April 1934 las man in den “Nordbahn-Nachrichten”:
“Kammer-Lichtspiele Birkenwerder am Bahnhof – Anerkannt erstklassiges Tontheater. Von Donnerstag bis Sonntag, abends 8 Uhr, Sonntag, nachmittags 5 Uhr, ermäßigte Preise: Ein Kuß in der Sommernacht (Deutsches Reich, 1933, Regie: Franz Seitz Sr). Marianne Winkelstern, Joe Stöckel. Tönende Wochenschau. Tönendes Beiprogramm. Jugendliche haben keinen Zutritt!”
Eigentümer Otto Brandt investierte 1936 in einen überdachten Türvorbau (Windfang) am Kino, und 1941 stand die “Errichtung von 2 massiven Schornsteinen an der Außenwand des Kinogebäudes” auf dem Plan. Zwischenzeitlich hatte er sich finanziell überhoben, denn es drohte eine Zwangsversteigerung, die durch Zahlung einer Hypothekenschuld doch noch verhindert werden konnte.
Die folgenden Ereignisse kurios anmutenden Charakters füllen in den alten Bauunterlagen eine eigene, umfangreiche Akte. Woraus auch hervorging, dass zwischen dem Eigentümer Herrn Brandt und der Kinobetreiberin Fräulein Michaelsen kein gutes Einvernehmen herrschte. Er duldete keine Eigeninitiative ihrerseits und sie ließ sich in ihrer resoluten Art nichts gefallen. So schwärzte Brandt das Fräulein wegen eines eigenmächtig im Vorraum des Kinos aufgestellten Ofens an, was jedoch auf ihr Betreiben nachträglich genehmigt werden konnte.
Ab 1940 erfuhren die Auseinandersetzungen ihren Höhepunkt, nämlich im Kampf um eine neue, dringlichst notwendige “Abortanlage.” Denn es waren keine vorschriftsmäßigen Toiletten vorhanden. Die mit Sondergenehmigung bis zum Jahre 1942 zugelassenen “Holzaborte” hinten auf dem Gelände konnten nur als “provisorisch” bezeichnet werden.
Brandt beantragte einfache “Tonnenaborte” auf der linken Seite des Kinos, den Bauschein erteilte das Landratsamt am 10. April 1941, und verweigerte hartnäckig die von Fräulein Michaelsen geforderten “Spülklosetts” an anderer Stelle. Worauf sie am 6. Juni 1941 schärfsten Einspruch erhob:
“1. Jeder Kinobesucher, der den Abort aufsuchen muss, ist gezwungen, an der Bühnevorbeizugehen, was besonders während der Vorstellung für die anderen Zuschauer äusserst störend wirkt.
2. Um den eigentlichen Zugang zu den Toiletten zu schaffen, müssen von 4 Stuhlreihen 4 mal drei Plätze – 12 Plätze entfernt werden. Die Anzahl der vorhandenen Plätze wird hierdurch von 225 auf 213 verringert, was für jede Vorstellung eine bedeutende Mindereinnahme bedeutet. Infolge der in der letzten Zeit gestiegenen Einwohnerzahl, hervorgerufen durch die erhöhte Belegschaft der umliegenden Rüstungsbetriebe, ist jede Vorstellung ausverkauft. Um die Nachfrage der Bevölkerung wenigstens einigermassen zu befriedigen, müssten mindestens 450 Plätze vorhanden sein. Eine weitere Platzverminderung bedeutet eine geringere Möglichkeit für die arbeitende Bevölkerung, die Kinovorstellungen zu besuchen. Andererseits ist der Einbau von zwei Türen zu den Toiletten ohne Einschränkung der Plätze nicht möglich. Es käme nur die Anlage von vorschriftsmässigen Toiletten auf der rechten Seite hinter dem Kinovorbau am Eingang in Frage.
3. Die Umänderung der Abortanlage in ein Tonnensystem ist durchaus unhygienisch. […] Die Einwändungen des Eigentümers Brandt, dass die Toiletten im Winter einfrieren, können durch Herstellung stärkerer Wände widerlegt werden. Tonnenabortsysteme verbreiten stets derartig unangenehme Gerüche, dass diese schon von weitem wahrzunehmen sind, welches im Sommer besonders störend und gesundheitsschädlich empfunden wird. Bei der Lage des im Bauschein projektierten Abortes wird der Geruch aus der Abortanlage, ohne es verhindern zu können, in den Zuschauerraum hineingedrückt. Hierdurch wird die Luft im Zuschauerraum, die bereits durch die niedrige Deckenhöhe derartig erdrückend ist, weiter verunreinigt. Auch wird das Publikum die Plätze in der Nähe der Aborte stets meiden. Weitere Nachteile sind für mich dadurch unvermeidlich. Wenn tatsächlich eine Toilettenanlage geschaffen wird, so muss diese unbedingt Wasserspülung haben. Nach Rücksprache mit der Filmkammer ist diese derselben Ansicht. Sollte ich mit meiner Eingabe kein Gehör finden, bitte ich die Abortanlage bis nach Beendigung des Krieges zurückzustellen. Ich habe die Absicht, nach Beendigung des Krieges ein eigenes Kino selbst bauen zu lassen, welches dann in jeder Weise der Neuzeit und der polizeilichen Bauvorschriften entsprechen wird.”
Nun herrschte ebenfalls auf Seiten des Landrates wenig Begeisterung:
“Lediglich im Hinblick auf die zweifellos anzuerkennenden Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung hat meine technische Dienststelle der Errichtung von Tonnenaborten anstelle von ordnungsgemäßen Spülklosetts zugestimmt. Voraussetzung hierfür ist natürlich, daß die Aborte so hergestellt werden, daß sie nach außen hin entleert werden können und daß die Gewähr für eine regelmäßige Entleerung der Kotgefäße gegeben wird. Ich befürchte, daß nun die vorgesehenen Tonnenaborte Gegenstand ständiger neuer Reibereien zwischen der Pächterin und dem Eigentümer und Anlaß zu neuen Beschwerden sein werden, da die Pächterin schon jetzt geltend macht, daß bei der Errichtung von Tonnenaborten Geruchsbelästigungen des Publikums unvermeidbar sind. Ich ersuche daher Brandt zu hören, ob er unter diesen Umständen nicht von vorn herein Spülklosetts einbauen will. Bei der Beschaffung der notwendigen Porzellanbecken würde ich ihm notfalls meine Unterstützung angedeihen lassen. Für den Fall, daß sich Brandt gegenüber dem Einbau von Spülklosetts nach wie vor ablehnend verhält, ist sicherzustellen, daß B. der Pächterin keine Schwierigkeiten bezüglich des Betretens seines Grundstückes, daß bei der Entleerung der Kotgefäße nach außen hin notwendig wird, macht. Im übrigen besteht keine Veranlassung, die Angelegenheit nunmehr, nachdem ihre Regelung nicht den Wünschen des Frl. M. entspricht, bis nach Kriegsende zurückzustellen. Gerade Frl. M. ist es ja gewesen, die immer wieder gegen die unhaltbaren Toilettenverhältnisse Sturm gelaufen ist. Schon aus diesem Grunde bin ich nicht gewillt, nachdem die Bausache sämtliche Instanzen durchgelaufen ist, dem Antrage auf Zurückstellung der Angelegenheit zu entsprechen.”
Unbeeindruckt wollte sich Brandt weiterhin nicht bereit erklären, Spülklosetts einbauen zu lassen. Es gäbe keine Gewähr dafür, dass das Einfrieren verhindert wird. Und im Falle dessen würde er erheblichen Schaden erleiden, den ihm keiner ersetzt. Als Krönung wies der Amtsvorsteher, mit Rückendeckung des Landratsamtes, am 25. September 1941 Eingabe und sämtliche Gegenargumente von Fräulein Michaelsen zurück. Anderer Standort der Toilette nicht gerechtfertigt, Tonnenaborte statt Spülklosetts, Zurückstellung bis nach Kriegsende abgelehnt – basta! Das kam, für das Fräulein, einer Niederlage auf ganzer Ebene gleich.
Es tat sich nicht das Geringste mit dem Anbau der Toiletten und der Amtsvorsteher befürchtete das Erlöschen des Bauscheines am 10. April 1942. In seiner Not behelligt er nun auch noch den Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Potsdam mit der Problematik, in Form eines detaillierten Berichts, betreffend “Abort des Lichtspieltheaters in Birkenwerder.”
Eine Antwort verfasste, im Auftrage, ein Herr Marcinowski, mit Datum 5. Mai 1942. Und die Regierungskanzlei zeigte sich ziemlich verschnupft:
“Die fragliche Angelegenheit läuft seit 3 Jahren. Das Erfordernis der Errichtung vorschriftsmässiger Abortanlagen ist von allen Instanzen, die die Sache durchlaufen hat, anerkannt worden. Ich muß daher den Standpunkt vertreten, daß sich eine nochmalige Aufrollung dieser leidigen Sache erübrigt. Die beanstandeten Toiletten befinden sich in der hintersten Ecke des Grundstückes. Der Weg zu den Toiletten und auch diese selbst sind nicht beleuchtet. Eine Abänderung dieses Mißstandes ist z.Zt. schon aus Gründen der Verdunklungsvorschriften nicht möglich. Sind also die vorhandenen Toiletten an sich schon eines Kinos der gegebenen Größe unwürdig, so ist bei den vorhandenen Beleuchtungsverhältnissen eine Beschmutzung der Anlage fast unvermeidbar. Schon aus diesem Grunde ist eine anderweitige Regelung der Toilettenfrage unerläßlich. Hinzu kommt, daß das Aufsuchen der Toilette in der Dunkelheit, insbesondere bei Schnee und Glatteis, eine ausgesprochene Gefahr für die Besucher darstellt. Die von dem Architekten für eine Zurückstellung der Toilettenfrage vorgebrachten Gründe greifen nicht durch. Auch wenn die alte Anlage bestehen bleibt, sind die Kinobesucher stets gezwungen, von ihren Sitzen aus zunächst nach dem auf der rechten Seite befindlichen Gang durchzutreten, um den Ausgang zu erreichen, was zumindest ebenfalls störend empfunden wird, aber unvermeidbar ist. Eine größere Störung würde das Aufsuchen der geplanten neuen Toilettenanlage über den Gang an der Bildwand vorbei auch nicht bedeuten, abgesehen davon, daß Toiletten meist nur während der Pause aufgesucht werden. Die in Frage gestellte Möglichkeit des Aufsuchens der geplanten neuen Anlage vor Beginn der Vorstellung läßt sich dadurch ermöglichen, daß die Anlage einen zweiten Eingang von der Hofseite aus erhält. Diese Regelung wäre vielleicht auch zur Erzielung einer besseren Entlüftung der Anlage insbesondere während der Sommermonate zu begrüßen. Der neue Antrag ist abzulehnen.”
Die Gültigkeitsdauer des Bauscheines wurde vorsorglich verlängert. Doch die Zeit verstrich und mit dem speziellen Örtchen am Kino ging weiterhin nichts voran, weil Brandt weder Baumaterial noch Handwerker beschaffen konnte, die fast alle nach außerhalb dienstverpflichtet waren. Letztendlich stellte man, im September 1943, doch alles bis nach Kriegsende zurück. Damit endet die Akte um die berüchtigte “Abortanlage.”
Allerdings wurde sie in geplanter Form niemals errichtet. Nach Angaben von Zeitzeugen gab es in den 1950er- und 60er-Jahren keine Klosetts an der linken Kinoseite, sondern nur eine heruntergekommene Anlage dahinter. Diese konnte jedoch nicht identisch sein mit jener, die Brandt 1929 erbauen ließ. Dem direkten Kino schlossen sich gemäß einer Zeichnung vom Oktober 1941 noch vier Räume an, wohl eine zweite Wohnung. Durch Kriegseinwirkungen soll dieser Teil des Hauses zerstört worden sein, das alte Lokus inbegriffen. Also entstand nach dem Krieg nur ein einfaches Plumpsklo für die eventuelle Notdurft. Erst viel später gab es ein Wasserklosett, aber das war auch nicht der große Wurf.
Jene erwähnte Bauzeichnung von 1941 zeigt die Maße des damals vorhandenen Gebäudes mit einer Länge von 33,70 Metern und einer Breite von 8,90 Meter. Wobei auf den vorderen Wohnraum acht Meter Länge entfielen, auf das Kino 19,60 Meter und die hinteren Räume 6,10 Meter. Der Besucher gelangte anfangs in den Vorraum mit Kasse und anschließend durch eine zwei Meter breite Tür in den Kinosaal mit 233 Plätzen. Hier befanden sich 14 vollständige Sitzreihen und sechs verkürzte hinten links neben dem Raum für den sogenannten “Bildwerfer.” Die Bilderwand maß eine Breite von vier Metern.
Der “Briesetal-Bote” aus Birkenwerder warb am 13. September 1943 mit einer etwas seltsam formulierten Anzeige:
“Ich vertraue dir meine Frau an! (Deutsches Reich, 1942/1943, Regie: Kurt Hoffmann) nennt sich der derzeit in den Kammerlichtspielen und in den Lichtspielen Hohen Neuendorf laufende ergötzliche Terra-Film, den Kurt Hoffmann mit glücklicher Hand geführte Regie das Gepräge eines mit Witz und launigen Einfällen wohlfundierten Lustspiels gibt.”
Ende der Kammerlichtspiele
Der genaue Zeitpunkt, wann die Kammerlichtspiele ihr Ende fanden, ist nicht mehr feststellbar. Es muss aber um die Wendezeit oder kurz davor gewesen sein. Im “Filmspiegel des Kreises Oranienburg” für den Monat Mai 1989 ist das Kino noch aufgeführt, gespielt wurde donnerstags und freitags. Unter der Leitung von Kurt Müller liefen Filme wie das letzte Konrad Wolf-Werk Solo Sunny (DDR, 1980, Regie: Konrad Wolf & Wolfgang Kohlhaase) mit Renate Krößner (P14, DDR) oder das Abenteuerspektakel Auf Jagd nach dem grünen Diamanten (USA, 1984, Regie: Robert Zemeckis) mit Kathleen Turner und Michael Douglas (P14, USA, 50 % Zuschlag). Einer der Gründe für die Schließung lag, wie bereits erwähnt, im katastrophalen Zustand der Baulichkeit. Einen weiteren nannte der letzte Kino-Chef Kurt Müller. “Das Kino Birkenwerder wurde geschlossen, weil es sich nicht mehr rentierte.”
Das 50 Quadratmeter große Grundstück gehörte vor der Zeitenwende dem VEB Kreislichtspielbetrieb Oranienburg, dann der Treuhand und schließlich einer Privatperson. Dieser neue Grundstückseigentümer stellte am 28. März 1995 einen Antrag: “Bezeichnung des Vorhabends: Abbruch des vorhandenen Gebäudes, ehemals Kino.” Dem wurde am 3. Mai vom Bauordnungsamt des Landkreises in Oranienburg stattgegeben. Als ausführendes Abbruchunternehmen sollte die Firma Franz Engler aus Borgsdorf auftreten. Der Abriss nahm am 13. Mai seinen Anfang.
Darauf bezog sich ein Zeitungsartikel im Oranienburger Generalanzeiger:
“Das alte Kino in Birkenwerder gehört bald der Vergangenheit an. Das inzwischen schon reichlich verfallene Gebäude in der Straße An der Bahn wird derzeit abgerissen. Geplant ist hier der Bau von Eigentumswohnungen. Das Kino ist bis zur Wende betrieben worden. Allerdings mußte schon vor 1989 die Anlage jedesmal aufgebaut werden, wenn ein Film gezeigt werden sollte.”
Im August 1995 waren die altgedienten „Kammerlichtspiele Birkenwerder“ für immer aus dem Ortsbild von Birkenwerder verschwunden. Sie mussten weichen für ein nicht besonders ansehnliches Haus mit elf Wohneinheiten.
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Einige Erinnerungen von Einwohnern aus Birkenwerder
Anneliese Linde aus Borgsdorf:
“Ab etwa 1930 war ich oft im Kino Birkenwerder, denn dort wurden ja auch Kinderfilme gezeigt. Das Kino wurde geleitet von einer großen blonden Frau, die auch die Filme vorführte. Damals ging ganz Borgsdorf in die alte Dorfschule. 1934 muss Hindenburg gestorben sein. Alle größeren Klassen ab dem 4. Schuljahr, sicher 80 Kinder, mussten nach Birkenwerder zum Kino marschieren und sich den Film Die Schlacht bei Tannenberg (Deutsches Kaiserreich, 1914, Regie: n.A.) ansehen. Das Kino in Birkenwerder war innen so schön. Es gab schöne Polstersitze, die Decke war blau mit vielen kleinen Sternchen. Wenn die Vorstellung anfing, kam vor dem Krieg als erstes eine kleine Vorschau, so was Lustiges, und dann der Hauptfilm. Im Krieg erklangen zuerst Fanfaren, dann wurden Sondermeldungen vom Kriegsgeschehen gezeigt. Danach kamen ein kleiner Vorfilm und der Hauptfilm. 1938 war ich 15, fast 16. Da sind meine Eltern, ein Jugendfreund und ich mit den Fahrrädern nach Birkenwerder gefahren. Der Jugendfreund war zwei oder drei Jahre älter als ich und hatte ein Auge auf meine Person geworfen. Wir vier kamen also zum Kino und es wurde der Film Der junge Graf (Deutsches Reich, 1935, Regie: Carl Lamač) mit Anny Ondra gegeben. Aber ich war noch keine 16 und konnte wieder nach Hause fahren. Da ärgere ich mich noch heute drüber…”
Norbert Gottlieb:
“Als Kalfaktor hatte Frau Michaelsen die Frau Bertram. Sie hat die Karten abgerissen und war Einweiserin. Aber sie ist schon tot.”
Gertraud Schemmel:
“Von Kriegsende bis 1950 war meine Mutter Platzanweiserin im Kino, Frau Michaelsen machte die Kasse. Nach der Rückkehr meines Vaters hörte meine Mutter im Kino auf. Er kam von der Arbeit und sie ist losgetrabt zum Kino, und das hatte ihm nicht gefallen.”
Rosi Fromm:
“Frau Schemmel war noch ein junges Mädchen, und wenn keiner da war, hat sie Kinokarten verkauft und abgerissen. Aber in Filme über 18 durfte sie trotzdem nicht rein.”
Eva Dardas aus Hohen Neuendorf, Patentochter der Kinobetreiberin Gertrud Michaelsen:
“Meine Familie kam aus Schlesien nach Birkenwerder und wurde 1946 bei Fräulein Michaelsen in der Wilhelmstraße pflichteingewiesen. Dort bin ich 1948 geboren und wurde ihr Patenkind. Fräulein Michaelsen war eine feine Frau, irgendwie. In dem Haus blieben wir bis 1950 und zogen dann ins Kino, wo wir bis etwa 1960 wohnten. Ich habe als Kind auch Karten abgerissen und mir etwas Geld dazuverdient. Wenn ein Film mit 18 kam, sagte meine Patentante: ‘Dann kommste aber raus!’ Sie war eine strenge Tante. Ich habe auch geholfen, die großen Filmrollen wieder aufzuwickeln. Und ich durfte gucken, ob der Film auch richtig scharf eingestellt ist. Abends, wenn Vorstellung war, habe ich an der Wand vom Kinderzimmer gelauscht. Die Filme wurden immer von der Abfertigung am Bahnhof mit einem Wägelchen geholt. Dann ist der Vorführer damit angerammelt gekommen. Wir hatten immer Angst um Fräulein Michaelsen, weil sie spät abends die Kasse mit nach Hause nahm. Zur Toilette sagte meine Tante immer ‘das Pissoir’, das weiß ich noch genau. Die Toiletten befanden sich hinter dem Kino quer. Und die Männer hatten da so eine Holzwand. Das war dort immer furchtbar – eine Holzbank mit einem alten Holzdeckel, platsch und unten rein … Auch bei Tante zu Hause war das kompliziert. Sie hat unten gewohnt, hatte aber keine Toilette. Bis zum Schluss ist sie auf einen Eimer gegangen. Obwohl sie eine Kammer hatte, wo eine Toilette hätte eingebaut werden können. Einen Mann hatte Fräulein Michaelsen nie. Als Kind habe ich sie mal gefragt und sie sagte: als sie jung war, waren die Männer alle im Krieg. Fräulein Michaelsen ist am 20.12.1965 mit 71 Jahren gestorben. Der Sarg war aus Eiche, immer das Beste. Den hatte Tischlermeister Willi Bolz gemacht. Mehrfach wurde ein Baum auf das Grab gepflanzt, doch der ist immer wieder eingegangen.”
Horst Dardas:
“In den 50er-Jahren gab es fast nur noch Russenfilme und selten was aus dem Westen. Und Oma sagte: ‘Ich kann das Kino nicht mehr halten.’ Damals hatte sich alles am Kino getroffen und wir haben dort nach Karten angestanden. Danach gingen wir noch in die Kneipe daneben.”
Erwin Mühlenbeck aus Birkenwerder:
“Am 15.11.1957 habe ich das Filmtheater-Kino in Birkenwerder als Theaterleiter und Filmvorführer übernommen. Das Kino war bis zu dieser Zeit noch privat und wurde von einer Frau Michaelsen geführt. Mit 65 gab sie das Kino auf unter der Bedingung, dort weiterbeschäftigt zu werden, weil ihre Rente zu gering war. Also arbeitete sie als Kassiererin. Die Platzanweiserin war zu meiner Zeit Frau Reinhard, sie wohnte in der Friedensallee. Und die Putzfrau war Frau Bullig aus der Summter Straße. Das Kino hatte 225 Plätze. Es konnten Breitwand-Filme gezeigt werden, aber die Maschinen und die gesamten Anlagen waren veraltet. 1959 hatten wir in Birkenwerder die höchsten Besucherzahlen im Kreisdurchschnitt. Im Jahr 1960 wurde die Wohnung im Kino frei und wir zogen am 1.6.1960 dorthin (2 ½ Zimmer, Küche, Bad, Veranda, Keller und Garten). Zum 31.5.1961 hatte ich die Tätigkeit als Theaterleiter gekündigt, weil die Verdienstmöglichkeiten sich verschlechtert hatten. Nachdem ich das Kino 1957 übernommen hatte, ließ ich das ganze Ding renovieren. Zwei Jahre später kam das Angebot aus Berlin, es könnte für 500 000 DDR-Mark ein neues Kino gebaut werden. Die Bedingung war, dass die Gemeinde ein Grundstück zur Verfügung stellt. Dann bin ich zur Bürgermeisterin und Trude Marx sagte, dass ein Grundstück in Aussicht steht. Dort, wo heute am Bahnhof das Andersen-Hotel steht. Es gab auch Überlegungen, das alte Kino nur zu erweitern. Trude Marx hatte gedrängelt und ich legte eine Skizze vor. Links wollten wir zwei Meter rausgehen und die alten Fachwerkmauern sollten abgerissen werden. Ich hatte schon eine Maurerfirma. Doch dann gab es Probleme, mit dem Bezirks- und auch mit dem Kreislichtspielbetrieb, und sie sagten: ‘Das machen wir nicht, das Fernsehen kommt immer mehr auf, und ein neues Kino ist nicht nötig.’ Die nahmen sich das Geld, ausgenommen 10 000 Mark, und steckten es in den ‘Filmpalast’ Oranienburg und andere Kinos. So gingen wir ziemlich leer aus. Darüber ärgerten wir uns, und Trude Marx auch. Mit den 10 000 Mark bauten wir eine neue Bestuhlung ein, erneuerten die Elektrik. Ein neuer Zaun wurde noch inoffiziell von der Firma mitgemacht. Dann war das Kino richtig schön in Ordnung. Oranienburg hatte wegen der ganzen Sache ein schlechtes Gewissen und ich wurde immer wieder angepiekt. Und dann bin ich aus dem Lichtspielbetrieb ausgestiegen. Vormittags gab es Matinee-Vorstellungen. Das war ein Vorschlag von Professor Dieckmann, dem Volkskammer-Präsidenten, der zu dieser Zeit in Birkenwerder wohnte. Dieckmann hatte auch die Filme besorgt. Alle aus den 30er-Jahren und noch älter, mit Heinz Rühmann und so. Die Filme kamen direkt aus dem Archiv. Und es war gefährlich, denn die alten Filme bestanden aus Leuko und waren leicht brennbar. Wenn der Projektor mal stehenblieb, ging alles in Flammen auf. Bei den Matineen, für die Rentner an jedem Montag, war der Saal dann fast immer voll. Auch Dieckmann kam mal mit ins Kino, sein Kraftfahrer hatte die Filme bis zu uns rein geschleppt, eine Filmrolle wog fünf bis sechs Kilo. Und dieser Kraftfahrer war der einzige Bewacher von Dieckmann. Einmal, bei den Filmfestspielen vom Kreis Oranienburg, fanden die Hauptfestspiele in Birkenwerder statt. Die von der DEFA und aus Berlin hielten sich dann alle in Birkenwerder auf. Darüber waren die vom Kreislichtspielbetrieb in Oranienburg verärgert. Abends gab es Tanz im ‘Waldschlößchen’ mit den ganzen Schauspielern.”
Mit einem Lächeln im Gesicht erinnerte sich der Hohen Neuendorfer Siegfried Raduns an seine Jugend:
“Ich war Mitte der 50er-Jahre im Kino Birkenwerder nur wegen Romy Schneider. Wenn der weiße Flieder wieder blüht (BRD, 1953, Regie: Hans Deppe) hieß der Film. Den habe ich mir dreimal angesehen. In dieser harmlosen westdeutschen Romanze von 1953 spielten Magda Schneider, Willy Fritsch und Paul Klinger. Ihr Filmdebüt gaben hier die blutjunge Romy Schneider-Albach, wie sie sich anfangs nannte, und Götz George. Dazu fällt mir eine Anekdote ein, aus den 1980er-Jahren. Vor der Ausstrahlung in der ARD sagte die Ansagerin (so etwas gab es damals noch): ‘Wir bedanken uns bei unseren Kollegen vom Fernsehen der DDR, die uns die einzige noch sendefähige Filmkopie zur Verfügung stellten …'”
Eckard Michalak aus Hohen Neuendorf:
“Gelegentlich ging es in der Zeit vor 1961 ins Kino Birkenwerder. Mit einem Mädel, das einem sehr zugetan war, oder wo man es glaubte. Da konnte man richtig gut fummeln, denn es herrschte Dunkelheit wie in einem Bärenhintern, und auch die Lampen glimmten nur wie Talglichter.”
Ein altes Tagebuch des Autors, zufällig entdeckt. Und in sauberer Kinderschrift diese Mitteilung aus dem fernen Gestern, einem Mittwoch, dem 4. Dezember 1974:
“Um 16.45 Uhr ging ich mit meiner Mutti zum Bahnhof. Dann fuhren wir mit der S-Bahn nach Birkenwerder und sahen uns im Kino den japanischen Zeichentrickfilm Die Schatzinsel (Japan, 1971, Regie: Hiroshi Ikeda) in Farbe an. Es war sehr schön.”
Das Stück, zauberhaft animiert und kindgerecht von der DEFA eingedeutscht, orientierte sich sehr frei an Stevensons weltberühmter Erzählung. Die italienische Westernkomödie Zwiebel-Jack räumt auf (Italien, 1975, Regie: Enzo G. Castellari), besetzt mit Franco Nero, entstand 1975 und feierte 1977 ihren DDR-Kinostart.
Hierzu weiß Herbert Kerst aus Birkenwerder etwas zu sagen:
“Ich war hier nur einmal im Kino, und zwar bei Zwiebel-Jack. Und es hatte dort auch ganz schlimm nach Zwiebeln gestunken. Die Leinwand war furchtbar zerknittert wie ein altes Bettlaken. Die Kassiererin und der Vorführer machten mehr Krach als die Zuschauer. Wenn man eine Weile da drin saß, kamen Temperaturen auf wie in der Sauna.”
Rosa Klaucke, bis 1957 die private Betreiberin der im Nachbarort gelegenen Borgsdorfer Lichtspiele, übernahm vertretungsweise während der 1970er-Jahre mehrfach die Rolle der Filmvorführerin in Birkenwerder. Sonst arbeitete sie in den Kinos von Borgsdorf und Oranienburg. In den 1980er-Jahren gab Kreisfilmstellenleiter Kurt Müller den Kinoleiter, zwischenzeitlich aber auch Günter Ritter, heute im fernen Odenwald ansässig.
Günter Ritter:
“Zuerst machte ich den Filmvorführer in Hohen Neuendorf, von 1972 bis 1975. Dann, bis 1986, war ich beim Landfilm als Filmvorführer in Birkenwerder und Borgsdorf im Wechsel angestellt. Beide Kinos gehörten zusammen, so als wären sie ein Objekt. Schließlich war ich auch Theaterleiter in Birkenwerder, machte die Pläne und die Abrechnungen. Kurt Müller war mein Chef. Es gab auch Jugendweiheveranstaltungen im Kino. Sonderveranstaltungen waren ein bis zweimal im Monat fest eingeplant. Ich machte viel für die Schule und kannte alle Kinder. Ebenfalls habe ich in der Orthopädischen Klinik Kino gemacht und in Kindergärten mit einer transportablen Anlage. Drei oder vier Vorführer wurden von mir ausgebildet. Später habe ich in Oranienburg und Hennigsdorf weitergemacht. Viermal wurde ich als bester Vorführer des Bezirks ausgezeichnet. Man nannte mich übrigens überall nur ‘Flimmer’, nach Professor Flimmrich (Kindermagazin im Ersten Fernsehen der DDR) im Fernsehen.”
Erika Schürhoff, ehemalige Lehrerin in Birkenwerder:
“Wir mussten damals mit den Schülern zu den Thälmann-Filmen in das Kino. Weil es recht klein war, wurde es ‘Flohkino’ genannt.”
Ein besonderes Erlebnis hatte die Filmvorführerin Karin Wasserberg:
“Es war an einem Sonntag und zuletzt, als alle raus waren, musste ich durch den Saal gehen, ob nicht jemand etwas liegengelassen hatte. Und da klemmte der eine Sitz und ich fand eine Brieftasche mit 1000 DDR-Mark und 500 Westmark. Darin waren auch noch der Personalausweis und das SED-Parteibuch. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Am Dienstag kam ein Mann und fragte, ob wir etwas gefunden hätten. Ich sagte, er möchte es beschreiben. Er mußte dann dafür unterschreiben und ich bekam von ihm 100 Mark.”
Sieglinde Schmidt aus Hohen Neuendorf:
“Von 1978 bis zur Wende arbeitete ich als Kassiererin, zwei Tage die Woche im Kino Birkenwerder und zwei Tage im Film-Café Borgsdorf. Die Säle in den Kinos mussten wir damals selber schrubben. Oft kamen auch die Jugendlichen vom Jugendheim im Wensickendorfer Weg und sagten: ‘Ach, Mutti Schmidti …’ Und dann habe ich sie auch so ohne Eintrittskarten rein gelassen. Frau Albrecht, die im Kino wohnte, wollte als Rentnerin noch etwas tun und half als Kassiererin mit aus. Das Kino in Birkenwerder war sehr heruntergekommen. Da wurde noch mit Kachelöfen geheizt und dann stank es so nach Rauch, dass wir die Vorstellung um eine Stunde verschieben mussten. Die Toiletten befanden sich im Kino neben dem Vorführraum. In den 50er-Jahren war ich öfters im Kino und damals gab es dort noch keine, sondern auch noch Sitze und Logen. Die Toiletten müssen also später eingebaut worden sein. Es waren welche mit Wasserspülung und das ging in die Kute durch ein Rohr. Doch das war ständig verstopft. Wenn es Probleme damit gab, sagte mein Chef Kurt Müller zu mir: ‘Na Siggi, mach mal …’ Hinten auf dem Grundstück war die Kute, ein großes Loch, und das hat ziemlich gerochen. Wenn die Grube voll war, kam in der Toilette alles hoch und dann wurde der Grubenrand wieder gestärkt. Es war sehr primitiv. Schließlich funktionierte gar nichts mehr und die Toilette wurde zugeschlossen. Die Jugendlichen verrichteten dann ihre Notdurft hinter dem Kino. Wenn nachmittags Kindervorstellungen waren, musste erst die Asche herausgebracht, geheizt und das Kino geputzt werden. Zum Schluss habe ich alleine geputzt und machte Aushilfe, bis ich 61 war. Herr Külz machte den Vorführer bis zum Schluss. Später waren die sanitären Anlagen und die Bausubstanz so schlecht, daß das Kino noch vor der Wende geschlossen werden mußte. Nach der Wende wurden alle Kinos der Umgebung von Herrn Fuchs aus Siegen übernommen.”
Andreas Schmidt, Sohn der Sieglinde Schmidt:
“Ich stamme aus Birkenwerder und ging dort oft ins Kino. Im Kino waren zwei Öfen, und wenn die geheizt wurden, qualmte es mächtig. Dann mußten sie lüften – und es war wieder kalt. Wenn es regnete, tropfte es auf einmal von der Decke und dann standen überall Schüsseln herum. Das war schon interessant. Es gab da mal in den 80er-Jahren die ‘Woche des sowjetischen Films’ und draußen wurde geflaggt. Drinnen zeigten die aber Das fliegende Auge (USA, 1983, Regie: John Badham) aus Amerika mit dem Hubschrauber. Und dann hatten sie sehr gute Besucherzahlen.”
Hans-Joachim Maruhn aus Oranienburg:
“Ich kam, wenn die Kinoanlage kaputt war, machte die Durchsicht, den Umbau auf neue Verstärker und den Einbau einer neuen Vorhangzugwinde. In Birkenwerder gab es eine TK 35, eine transportable Kinoanlage. Davor hatten sie eine Ernemann-Maschine von Zeiss/Ikon Dresden. Frau Assermann aus Borgsdorf war eine Aushilfe als Filmvorführer. Meine Frau Elke hatte in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren an der Kasse und als Vorführer ausgeholfen. Zwischendurch war sie auch mal Kinoleiterin. 1988 sollte in Birkenwerder etwas gemacht werden. Denn es regnete durch und der Vorführraum sollte umgebaut werden. Doch wegen der Wende ist dann alles liegengeblieben.”
“Bei jungen Leuten war das Kino sehr beliebt”, erinnerte sich Marita Singer, in Birkenwerder aufgewachsen:
“Wir sind dort gerne ins Kino gegangen. Darin war es gemütlich und es war preiswert. Was gab es denn im Osten schon? Besonders toll war es, wenn ein Film aus dem Westen kam. Aber wir haben alles gesehen: Sieben Sommersprossen (DDR. 1978, Regie: Herrmann Zschoche), Concorde-Inferno (Italien, 1979, Regie: Ruggero Deodato) oder Robinson jr. (Italien, 1976, Regie: Sergio Corbucci). Ich war total traurig, dass das Kino abgerissen wurde.”
Das Projektteam von “Kino in der DDR” möchte sich an dieser Stelle ganz herzlich bei Matthias Salchow für seine Schilderungen und die Bereitstellung der Foto- und Archivaufnahmen bedanken.
Welche Filme haben Sie im DDR-Kino gesehen und wie erinnern Sie sich an diese Zeit zurück? Schreiben Sie uns Ihre Geschichte an kino-ddr@uni-erfurt.de oder teilen Sie Ihre Erinnerungen und Erlebnisse auf unserer virtuellen Forschungsplattform und helfen Sie uns, diese einmalige Kinokultur vor dem Vergessen zu bewahren: https://projekte.uni-erfurt.de/kinoinderddr/.
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