Von Eberhard Menzel
Offenbar war dem Union-Theater eine nur kurze Wirkungszeit vergönnt. Allerdings folgte es einem Vorgänger beträchtlichen Alters, einem stattlichen Wohngebäude “Zum Rosenbaum” aus Zeiten der Renaissance. Im 16. Jahrhundert hatte es ein vermögender Waidhändler errichten lassen. 1851 entschloss sich die Stadt, das baufällige Anwesen bis auf das Erdgeschoss abzureißen. Und 1879 kaufte der Schlossermeister und Abrissunternehmer Heinrich Eckhardt das Grundstück und richtete zunächst in mehreren, bis zur Gera reichenden Hintergebäuden Werkstätten ein. Für die Straßenfront beantragte er 1910, einen Neubau ergänzen zu dürfen. Als dieser 1911 fertig gestellt war, folgte der Plan, das gesamte Parterre als Kinematographentheater zu nutzen. Nach baupolizeilichen Erfordernissen entwickelte Eckhardt eine Sitzplanzeichnung mit 19 Bankreihen von jeweils neun oder zehn Plätzen. Wie eine Grundrisszeichnung aus Bauunterlagen des Bauordnungsamtes zeigt, hatte man die höchst zulässige Besucherzahl auf 186 Personen festgelegt. Ventilatoren waren vorgesehen für den Vorführraum und den Saal, außerdem nach Geschlechtern getrennte Toiletten am Raumende sowie Eingänge, Ausgänge und Notausgänge in der Saalmitte, um bei Bränden und Panikausbrüchen schnelle Fluchtwege zu garantieren. Die Projektionswand sollte längs der Hausfassade zur Michaelisstraße ihren Platz finden und die erste Sitzreihe dazu einen Abstand von 3,00 m einnehmen. Nach Einbau eines Gleichstromumformers beantragte Eckhardt, sein als Uniontheater benanntes Vergnügungslokal am 10. Mai 1911 eröffnen zu dürfen.
Mit französischer Salonmusik und Wohlfühlatmosphäre: So versuchte das Union-Theater neue Gäste anzuwerben
Ob es genügend Publikumsverkehr erreichte oder zu weit entfernt vom Stadtzentrum nur geringen Besuch zu verzeichnen hatte, ist schriftlich nicht überliefert. In einer Annonce der “Thüringer Allgemeinen Zeitung” vom 9. Juli 1911 warben die Besitzer der Kinos Union und Maxim gemeinsam mit den folgenden Worten: “Wir sind nicht die beliebtesten, auch nicht die bestbesuchten Theater, aber das steht fest, wir sind diejenigen Theater, in denen sich bis jetzt selbst Erfurter der besten Gesellschaft immer noch am wohlsten gefühlt haben, was allseitig bekannt ist. Wir sind auch die einzigen Theater mit französischer Salonmusik.” Im Juli 1911 lud Eckardt mit den Worten ein “Das Theater, gut ventiliert, bietet selbst zu den heißesten Sommertagen einen kühlen und angenehmen Aufenthalt.” Sämtliche Plätze seien so angelegt, dass ein Hüteabnehmen etc. “vollständig in Wegfall” käme. Und am 1. Oktober 1911 warb Otto Koch als neuer Kino-Besitzer in der Presse: “Das Theater, bekannt als besteingerichtetes, da Abnahme der Kopfbedeckung unnötig, vorzüglich ventiliert, bietet allen Besuchern bei doppelt besetzter Unterhaltungsmusik einen angenehmen Aufenthalt; gut geschultes Personal bürgt für durchaus exakte Aufführungen von abwechslungsreichen erstklassigen Lichtschauspielen.”
Vier Jahre nach Eröffnung: Bauakten belegen Schließung des Union-Theaters im Jahr 1915
Nur über Werbeannoncen damaliger Tageszeitungen lassen sich manche Wirkungsspuren dieser Einrichtung noch heute erfahren. So warb das Union-Theater, wie damals aus Kostengründen weit verbreitet unter den Kinos, gemeinsam mit dem Kolosseumtheater aus der Krämpferstraße 62 für seine Filme. 1912 liefen die Vorstellungen im Union-Theater wochentags von 16.00 Uhr bis 23.00 Uhr, sonntags von 15.00 Uhr bis 23.00 Uhr. In den Texten der Filmankündigungen dominierten die Verben wie “hochspannend”, “ergreifend”, “unerreicht” und “außergewöhnlich”. Im Angebot von 1913 befand sich die Anmerkung “prachtvoll koloriert”. Demnach eroberten Farbfilme allmählich die schwarz-weißen. Auch der Umfang der Filme nahm zu. So versprach der Titel “In der Dämmerung” vom 14. Juni 1913 drei Akte von 1030 m Länge, der Streifen “Zwei Welten” vom 18. März 1913 eine Vorführdauer über eine Stunde. Offenbar existierte dieses Kino nur wenige Jahre, vermutlich bis etwa 1915. Zu jener Zeit richtete man laut Bauakten an gleicher Stelle ein Geschäft mit Werkstatt ein.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel “Das Volkskino-Theater im Haus Zum Schlehendorn in der Johannesstraße 91/92, das Union-Theater Michaelisstraße 30 und das Lichtspieltheater Karthause Kartäuserstraße 13/17. Erfurter Kinogeschichte IV” in “Stadt und Geschichte: Zeitschrift für Erfurt”, Heft 2/2014, Nr. 57. Er wurde uns freundlicherweise von dem Herausgeber und Autor der Zeitschrift, Eberhard Menzel, für die Veröffentlichung auf diesem Blog zur Verfügung gestellt. Der Artikel wurde aus redaktionellen Gründen um Zwischenüberschriften ergänzt.
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