Von Prof. Dr. Ruth Menzel
Im Jahr 1906 vollendete der Erfurter Maurermeister Carl Haddenbrock am Friedrich-Wilhelms-Platz ein stattliches viergeschossiges Wohn- und Geschäftsgebäude mit historischem Eigennamen “Zur großen roten Flasche”. Bescheidene Vorgängerhäuser hatten das Terrain bis dahin eingenommen. Im Parterre des modernen Neubaus fand zunächst ein “Thüringia Automaten-Restaurant” am 15. November 1906 seine Eröffnung. Und schon wenig später konnte der Hauseigentümer Cafetiér Bruno Hamann am 24. November das daneben eingerichtete “Central-Theater für lebende Photographien” vorstellen. Es gehörte mit dem Scherffschen Bioskop-Theater zu den ersten selbstständigen Erfurter Lichtspieltheatern nach kinematographischen Auftritten auswärtiger Schausteller im “Kaisersaal” oder “Reichhallen-Theater”. Es zählte auch zu den ersten “Kintopps”, die in leerstehenden unrentablen Läden eingerichtet wurden.
Ob der Vorführsaal mit Klappstühlen oder harten Bänken ausgerüstet war, ist nicht überliefert. Vermutlich standen die 112 Sitzplätze in Sechserreihen eng beieinander und ohne schräge Rampe auf glatter Ebene. Sie boten wenig Bequemlichkeit. An Ränge, Balkons, Logen oder Lauben war damals noch nicht zu denken. Dass die Raummaße im Parterre von 18,00 x 4,50 Meter dauerhaft frische Luft garantierten, bleibt zu bezweifeln. Vielleicht versprühte man hier, wie in anderen Filmlokalen und von Zeitzeugen bestätigt, in kurzen Abständen Parfüm.
Vom Flimmerband zum farbigen Tonfilm
Besucher kamen und gingen. Es herrschte ständiger Wechsel. Annoncen vom Dezember 1906 informierten: “Täglich ununterbrochen Vorstellungen, sodaß Eintritt zu jeder Zeit erfolgen kann.” Nach Ablauf jedes kurzen Filmprogramms erinnerten Ansager oder ein Leinwandtext, welche Gäste entsprechend ihrer Billettnummer den Saal zu verlassen hatten. Eine wichtige Rolle spielte der Erklärer. Er musste die stummen Filme mithilfe eines langen Rohrstocks anschaulich kommentieren. Später erläuterten Zwischentexte auf der Bildfläche schwer verständliche Szenen. Projektiert wurde auf die glatte Raumwand oder auf ein aufgespanntes Tuch. Die Länge der Filme erweiterte sich von wenigen Metern auf 100 bis 300 Meter und mehr. Zwischen 1900 und 1930 erlebte das internationale Lichtspielwesen eine stürmische Entwicklung, deren Wellen auch bis in die junge Großstadt Erfurt rollten.
Aus dem störanfälligen “Flimmerband” mit Alltagssituationen wurden erste Spielfilme mit Handlungsabläufen. Mehr und mehr bereicherten auch künstlerische Ansprüche die Produktion und bald war von “Kunstfilmen” die Rede. Vom schwarz-weißen Stummfilm bis zum handkolorierten und später perfekt farbigen Tonfilm nach 1930 war noch ein weiter Weg. Von Beginn an galt als üblich, dass Musik die Vorstellungen einführte, Texte untermalte und Pausen überbrückte. Zum Einsatz kamen dabei Grammophone und mechanische oder elektrische Klaviere. Und Veranstalter, die es sich leisten konnten, beschäftigten Musiker, die ein Orchestrion, Pianino oder Harmonium zu spielen verstanden, im besten Falle eine kleine Hauskapelle bildeten. Für das Central-Theater lieferte die “Elektrotechnische Fabrik Richard Hagelmann” im November 1906 zwei Elektromotoren von 1,8 PS und 4 PS Leistung für ein elektrisches Klavier und eine Bogenlampe. Erfurter Geschäftsleute stellten sich rechtzeitig auf neue Kundenwünsche ein. So verkaufte Gustav Möller am Wenigemarkt 12 unter anderem “Pianinos großstädtischer Auswahl” und August Germanus in der Pergamentergasse 27/29 “Sprechmaschinen und Schallplatten”. Kinematographen mit elektrischer Beleuchtung und Gasglühlicht bot Oskar Krüpke im Laden Anger 22 an.
Eröffnung und Filmprogramm des Central-Theaters
Mit Vorführungen begann das Central-Theater offiziell am 24. November 1906 um 16.00 Uhr. Schon 1907 versprach eine Werbeannonce im Erfurter “Allgemeinen Anzeiger” die Vorführung “vollkommen flimmerfreier herrlich kolorierter Bilder”. Dies klingt erstaunlich, denn Handkoloriertes entsprach damals kaum den natürlichen Farben. 1911 zahlten Erwachsene 30 bis 50 Pfennige Eintritt, Kinder die Hälfte. Sonntags galten für alle ermäßigte Preise. Zu jeder Zeit und auf allen Plätzen erfuhr das Militär ohne Charge ermäßigten Eintritt. Kinder hatten von 16.00 bis 19.00 Uhr Zutritt ohne Begleitung Erwachsener. Im September 1911 veröffentlichte der Kinobesitzer M. von Stachelski in der Presse: “Die verehrten Besucher meines Theaters mache ich ergebenst darauf aufmerksam, daß es in Erfurt drei Theater gibt, in denen jeglicher Besuch für Damen der Halbwelt etc. seitens der Polizei und der Besitzer verboten ist und zwar ist eines davon das Maxim-Theater und eines das mit ihm liierte Apollo-Theater. Unsere verehrten Besucher werden sich also selbst ein Urteil bilden können, welche Kinematographen hier die vornehmsten sind. Wir halten dieses Verbot streng aufrecht nur im Interesse unseres verehrten Publikums und des guten Rufes unserer Theater.” Ständig galt der Ehrgeiz, einen schnellen Wechsel inhaltlicher Stoffe zu bieten. Man zeigte “jeden Mittwoch und Sonnabend ein vollständig neues Programm”. Außer Filmvorführungen fanden vormittags Matineeveranstaltungen statt.
Auffällig großes Interesse widmeten die Kino-Betreiber historischen Stoffen und ausländischen Produktionen. Dafür seien einige Beispiele genannt: Dezember 1910: Kunstfilm “Staatsraison”, ein Schauspiel aus dem 16. Jahrhundert, gleichzeitig ein “Kinematographisches Preisrätsel Wilhelm Tell” mit insgesamt 110,00 Mark Gewinnen. Januar 1911: “Karl der Große und Pipin der Kurze”, auch: “König Lear”, historische Tragödie von Shakespeare, Februar 1911: “Der große König und sein Kammerbusar”, dramatische Episode aus dem Leben des alten Fritz, März 1911: “Hamlet”, das historische Königsdrama von Shakespeare, gespielt von berühmten Künstlern der dänischen Königlichen Hofbühne. Für die Aufführung des dramatischen Films “Abgründe” von ca. 350 Meter Länge, einer Stunde Dauer mit ca. 50.000 Momentaufnahmen erreichte das Kino 1911 “mit großem Kostenaufwande” das alleinige Erstaufführungsrecht in Erfurt. Auch hier gehörten bedeutende Mitglieder von Kopenhagener Theatern zu den Schauspielern. Im Februar 1911 lief der Streifen “Unschuldig verbannt nach Sibirien”, dargestellt von der “gastierenden Original-russischen Truppe Sibirische Verbannte”.
Dieses Central-Theater, das seit dem 18. Februar 1911 nach vollständiger Renovierung als “Maxim-Theater” firmierte, existierte nach Einträgen in Adressbüchern bis einschließlich 1913. Es schloss seine Pforten wie viele folgende in Erfurt im Zuge des großen Kinosterbens, offenbar verursacht durch wirtschaftliche Pleiten.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel “Das Central-Theater am Friedrich-Wilhelms-Platz Nr. 6-9 und das Bioskop-Theater am Fischmarkt 11. Zeugen früher Erfurter Kinogeschichte II” in “Stadt und Geschichte: Zeitschrift für Erfurt”, Heft 3/2013, Nr. 55. Er wurde uns freundlicherweise von der Herausgeberin und Autorin der Zeitschrift, Frau Prof. Dr. Ruth Menzel, für die Veröffentlichung auf diesem Blog zur Verfügung gestellt. Der Artikel wurde aus redaktionellen Gründen um Zwischenüberschriften ergänzt.
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