Welche Rolle hatte das ländliche Kino Ostdeutschlands in den 1930er-Jahren? Mit welchen politischen Maßnahmen sahen sich die Kinobetreiber in der DDR konfrontiert? Und welche Herausforderungen brachte die Wende für das Kinowesen mit sich? Diesen Fragen geht der Autor Lucas Rischkau am Beispiel der “Kammerlichtspiele” in seiner Heimatstadt, dem brandenburgischen Beeskow, auf den Grund. Nachdem sich der erste Teil der Serie mit der Gründung des Kinos in den 1930er-Jahren befasste, führt der zweite Teil die Geschichte des Kinos fort und erklärt, wie der Kinobetrieb mit der Gründung der DDR schritt-weise in staatlichen Besitz überging.

Von Lucas Rischkau

Das Gebäude der Kammerlichtspiele im Jahr 2000. Der ehemalige Name “Kammerlichtspiele” in Frakturschrift ist auch heute noch ganz bewusst erhalten worden, wenn auch das Kino mittlerweile unter anderem Namen bekannt ist (Foto: Archiv Beeskow).

Die “Kammerlichtspiele Beeskow” wurden kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wiederöffnet. Nicht nur bildete das Kino für die Bevölkerung eine der wenigen preiswerten Möglichkeiten, dem tristen Nachkriegsalltag zu entfliehen, auch die nun in Beeskow im heutigen Gymnasium stationierten sowjetischen Streitkräfte verlangten nach Unterhaltung [1]. Das Kino lief so gut, dass Pläne zur Vergrößerung, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden hatten und durch den Krieg verhindert worden waren, schon bald wieder aufgegriffen wurden. Der dazu gestellte Bauantrag vom 24. November 1947 wurde zwar am 03. Juli 1950 (!) genehmigt, konnte aufgrund der mangelnden Materialzuweisung jedoch nie realisiert werden.

Politische Instrumentalisierung des Kinofilms in der DDR

In der DDR wurde dem Film ein gesellschaftlicher Auftrag beigemessen, der da lautete: “Erziehung des deutschen Volkes, insbesondere der Jugend, im Sinne echter Demokratie und Humanität”, wie es beispielsweise Sergej Iwanowitsch Tjulpanow bei der Gründung der DEFA am 17.05.1946 formulierte [2] und was kaum anders interpretiert werden kann als Erziehung der Gesellschaft zur sozialistischen Denk- und Lebensweise. Dieser Erziehungs-auftrag konnte nur durch eine staatliche Lenkung der Filmindustrie gelingen und führte zwischen 1947 und 1948 dazu, dass in den einzelnen Ländern Gesetze verabschiedet wurden, die die Überführung privater Lichtspieltheater in Kommunal- oder Landeseigentum anordneten [3]. Nur in Ostberlin und Brandenburg behaupteten sich private Kinos noch eine ganze Weile, was auch an wirtschaftlichen Herausforderungen und Schwierigkeiten lag, mit denen sich der Staat durch die eigene Finanzierung und Betreibung der Lichtspielhäuser konfrontiert sah [4]. Dennoch wurde auch hier die Filmlandschaft wie überall in der DDR neu strukturiert, um Kinos wirtschaftlicher sowie wirksamer einzusetzen und bis hinab auf die Ebene der Landkreise leichter kontrollieren zu können. Ab 1953 wurden volkseigene (VE) Kreislichtspielbetriebe (KLB) gegründet, die den Räten der Kreise, Abt. Kultur untergeordnet waren. Ab dem 01. Januar 1963 erfolgte dann auf Beschluss des Ministerrates der DDR zur “Verbesserung der Arbeit im Lichtspielwesen” (30. August 1962) die Umwandlung der Kreislichtspielbetriebe in Kreisfilmstellen und deren Eingliederung in Bezirkslichtspielbetriebe (BLB, offiziell volkseigene Lichtspielbetriebe), die ab 1974 Bezirksfilmdirektionen (BFD) genannt wurden. Diese unterstanden wiederum den Räten der Bezirke [5]. In Beeskow wurde ein Kreislichtspielbetrieb (später Kreisfilmstelle) eingerichtet, der seinen Sitz in der Brandstraße 28 hatte. Unterstellt war dieser dem BLB Frankfurt (Oder) mit Sitz in der August-Bebel-Straße 133 in Fürstenwalde (Spree).

Übernahme des Kinos durch den Kreislichtspielbetrieb Beeskow

Blick auf die Kinoleinwand der späten 90er-Jahre. War die Leinwand bis dahin parallel zur Bahnhofsstraße platziert, änderte sich dies mit den Umbauten in den frühen 2000er- Jahren. Die Leinwand wurde um 90° gedreht und verläuft nun in einem rechten Winkel zur Straße (Foto: Archiv Beeskow).

Das Lichtspieltheater in Beeskow konnte von Familie Kleinert bis 1958 privatwirtschaftlich betrieben werden, bis es durch einen Pachtvertrag zwischen Bruno Kleinert und dem VE Kreislichtspielbetrieb Beeskow am 01. Mai 1958 in staatlichen Besitz gelangte [6]. Dass dies ein längerer Prozess war, als das Ausstellungsdatum des Vertrages vom 20. März gleichen Jahres vermuten lässt, zeigen erhaltene Entwürfe, die den Beginn der Pachtvereinbarung an jeweils zwei Stellen noch mit dem 01. Januar bzw. 01. März 1958 angeben. Verpachtung als Form der Übereignung an den Staat war nicht unüblich und wurde neben den Praktiken wie Ankauf oder Kauf auf Rentenbasis öfter vollzogen [7].

Der VE Kreislichtspielbetrieb Beeskow übernahm das Kino zu einem monatlichen Pachtpreis von anfänglich 400 DM, der sich aus der Übernahme des Gebäudes (200 DM), der Bestuhlung sowie der Nutzungsrechte an der Heizungsanlage (100 DM) und des technischen Inventars (100 DM) zusammensetzte [8]. Der Vertrag wurde für die Dauer von fünf Jahren (bis zum 30. April 1963) geschlossen und lief danach systematisch jährlich weiter, wenn von keinem der beiden Vertragspartner bis zum 31. Dezember eine Kündigung vorgenommen wurde. Der Vertrag regelte dazu die Verantwortlichkeit von Reparatur- und Reinigungsmaßnahmen sowie die technische Aufrüstung des Kinos, die vom VE Kreislichtspielbetrieb bei Minderung des Pachtpreises vorgenommen werden konnte, und sicherte die Übernahme der Eheleute Kleinert und des weiteren Personals [9]. Das Ehepaar Kleinert wurde gleichzeitig zum 01. Mai bei dem VE Kreislichtspielbetrieb Beeskow angestellt, Bruno Kleinert als Theaterleiter, Marie Kleinert als Kassiererin [10]. Zudem mussten sowohl das Ehepaar Kleinert als auch die restlichen Angestellten dem Kollektiv “Kammerlichtspiele Beeskow” beitreten, welches am 01. Mai 1958 gegründet wurde.

Blick von der Leinwand in den Kinosaal der späten 90er-Jahre. Im Hintergrund ist die Öffnung zum Vorführerraum zu erkennen (Foto: Archiv Beeskow).

De jure änderten sich noch einmal zu Beginn des Jahres 1977 die Besitzverhältnisse des Kinos, als die staatliche Filmstelle nun vom Pächter zum offiziellen Besitzer des Kinos wurde. Marie Kleinert – Bruno Kleinert war am 30.12.1966 verstorben – verkaufte das Lichtspieltheater “Kammer Beeskow” an die Bezirksfilmdirektion Frankfurt (Oder). Der Antrag dazu war bereits am 03.01.1977 eingereicht worden. Nach einer Wertermittlung durch Bauingenieur Max Bergemann aus Lieberose sowie einer Abstimmung zwischen der Bezirksfilmdirektion, vertreten durch dessen Direktor Hans-Georg Lehmann, und der Kulturabteilung des Bezirksrates wurde am 11.01.1977 beschlossen, das Lichtspieltheater zum 01. Februar des gleichen Jahres für die Summe von 23.380 Mark zu erwerben [11].

Da das Kino sich auf dem gleichen Grundstück wie das Familienhaus der Kleinerts befand, wurde zum 14.01.1977 eine zusätzliche Vereinbarung über die Verfügungen der Zufahrtswege sowie die gemeinsame Nutzung der Heizkesselanlage von Kino und Wohnhaus geschlossen [12]. Der Kaufvertrag kann als eine reine Formalität verstanden werden, die den Besitzerwechsel des Beeskower Kinos nun auch offiziell und endgültig in Eigentum der Bezirksfilmdirektion und damit staatliches Eigentum verwandelt hatte.

Den dritten und letzten Teil der Beitragsserie “Die Kammerlichtspiele Beeskow – ein kleines Kino mit großer Geschichte” finden Sie hier auf unserem Blog. In dem Artikel erfahren Sie, mit welchen Herausforderungen sich die Kinobetreiber zur Wendezeit konfrontiert sahen und wie es heute um das traditionsreiche Lichtspielhaus steht.

Einzelnachweise

[1] Vgl. Stadtverwaltung Beeskow (1995), 72.

[2] Mückenberger, Christiane/Jordan, Günter: “Sie sehen selbst, Sie hören selbst…” Eine Geschichte der DEFA von ihren Anfängen bis 1949, Marburg 1994, 38. Dies blieb auch eine unumstößliche Vorstellung, als die Filmproduktion zu Beginn der 50er Jahren eine Krise ausgelöst durch Diskrepanzen ideologischer Vorgaben sowie Umstellungen innerhalb der Filmindustrie und ausbleibender Einspielerfolge der Filme an den Kinokassen erlebte, vgl. Dietrich, Gerd: Kulturgeschichte der DDR, Band 1: Kultur in der Übergangsgesellschaft 1945-1957, Göttingen 2018, 432-437 und Kotsch, Detlef: Die Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952-1990), in: Ingo Materna/Wolfgang Ribbe (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, 727-794, hier 769 (FN 80).

[3] Vgl. Dietrich (2018), 224-230.

[4] Vgl. Lemke, Michael: Die Kino-Konkurrenz im geteilten Berlin 1949-1961, in: Heiner Timmermann (Hg.): Das war die DDR. DDR-Forschung im Fadenkreuz von Herrschaft, Au-ßenbeziehungen, Kultur und Souve-ränität, Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen 128, Münster 2004, 635-676, hier 670-674.

[5] Vgl. Jordan, Günter: Film in der DDR – Daten, Fakten, Strukturen, Potsdam 2009, 228-233.

[6] Siehe Pachtvertrag vom 20. März 1958 sowie mehrere nicht datierbare Entwürfe (Familienbesitz Kleinert).

[7] Vgl. Jordan (2009), 229.

[8] In einem früheren Entwurf des Vertrages werden 600 DM gefordert, was der VE Kreislichtspielbetrieb aber in einem Schreiben zum 18.02.1958 nach Absprache mit dem Rat des Kreises ablehnte, mit dem Hinweis, dass der bereits angebotene Betrag von 400 DM bereits mehr als Verhältnismäßig ist, da im Allgemeinen pro Sitzplatz nur 1 DM gezahlt würde.

[9] Eine dem späteren Kaufvertrag zwischen Familie Kleinert und der Oderländer Filmtheater GmbH beigelegte Inventarliste zeigt detailliert, wo zuletzt bis 1990 Investitionen vorgenommen worden waren.

[10] Siehe Anstellungsverträge des Kreislichtspielbetriebs für Bruno Kleinert und Marie Kleinert vom 28., bzw. 21. April 1958 (Familienbesitz Kleinert).

[11] Siehe Kaufvertrag zwischen Frau Marie Kleinert und der Bezirksfilmdirektion Frankfurt (Oder) vom 11.01.1977 (Familienbesitz Kleinert).

[12] Siehe dem Vertrag beigefügte Nutzungsvereinbarung zwischen der Bezirksfilmdirektion Frankfurt (Oder) und Frau Marie Kleinert vom 14.01.1977. Die Vereinbarung sah unter anderem einen Unkostenausgleich für die gemeinsame Nutzung der Kesselanlage vor. Demnach bezahlte die Bezirksfilmstelle Familie Kleinert 50 Mark im Quartal sowie einen Zusätzlichen Ausgleich von 100 Mark während der jährlichen Heizperioden. Familie Kleinert wurde dagegen verpflichtet, die Verantwortung für die Beheizung des Kinosaals bei einer Saaltemperatur von 18°C zu übernehmen. Letzteres wurde später dahingehend geändert, als dass die Beheizung für Sondervorstellungen durch den Theaterleiter selbst erfolgen musste, wie eine vom 12.10.1980 verfasste Aktennotiz belegt. Grund hierfür waren die verstärkt stattfindenden Sondervorstellungen im Kino.