Von Eberhard Menzel

Zu den kurzzeitigen Erfurter Lichtspiellokalitäten gehörte auch das “Edison-Filmtheater” im dreigeschossigen Wohn- und Geschäftshaus des Maurermeisters Carl Haddenbrock. Es wurde gelegentlich als “Disontheater” bezeichnet. Am 16. August 1908 meldete die “Thüringer Allgemeine Zeitung” die Eröffnung des “vornehmsten Kinematographen am Platze. Täglich Vorführungen von lebenden, singenden, sprechenden Photographien auf der silbernen Wand.” Das “Edison” erstreckte sich mit einer Bühne und 158 Plätzen im Parterre des 19,00 Meter langen Zuschauerraums direkt hinter der Straßenfassade. Auch hier installierte die Firma Hegelmann alle technischen Vorrichtungen: drei Elektromotoren eigener Herstellung für den Ventilator, den Kinoapparat, die Dynamomaschine und außerdem eine Milchglasscheibe mit der Aufschrift “Kinotheater” über dem Erkerfenster.

Die bekannte Schauspielerin Henny Porten wirkte im November 1914 an der Schilderung von Soldatenschicksalen im Feindesland mit. Quelle: Stadtarchiv Erfurt.

Nach Bauakten zu urteilen, nahm das Theater keine weiteren Räume des Hauses in Anspruch. Warum es sich nicht länger als fünf oder sechs Jahre bis 1913/14 behaupten konnte, bleibt nur zu vermuten. Es lag im Grunde genommen günstig an einer Wegstrecke mit Geschäften, Gaststätten sowie Cafés und fernab konkurrierender Kinos. Seit der Jahrhundertwende war die alte verwinkelte Straßenbebauung allmählich modernen Mehrgeschossern gewichen. So verhinderte wohl der ausgebrochene Erste Weltkrieg alle Hoffnungen auf eine länger dauernde Lichtspielgeschichte. Angeblich etablierte aber der ehemalige Kinobesitzer der Löberstraße 17/18 Gustav Heidemann im Sommer 1919 im Nachbarhaus “Zum großen und kleinen Hufeisen”, Löberstraße 19, ein Kinematographentheater im hinteren Saal des Hofanbaus.

Historische Stoffe und erzieherisch-moralisierende Filme als Kinoprogramm

“Apollo” und “Edison” waren gemeinsam um abwechslungsreiche Programme bemüht. Aber historische Stoffe dominierten wie schon früher im “Centraltheater” und im “Scherffschen Bioskop die Szene. 1912 zeigte man nun “‘Das Leben dem Vaterlande’, ein großartiges Kriegsdrama in 2 Akten – 38 Abteilungen” aus den Zeiten Napoleon I. sowie “‘Die Signa/Trompete’, ein äußerst packendes Drama aus dem amerikanischen Bürgerkrieg”. Diese Beispiele stehen für etliche andere. Neben geschichtlichen Inhalten drängten sich erzieherisch-moralisierende hervor. Erfurts rasche Entwicklung zur Großstadt mit allen negativen sozialen Spannungen beflügelte diese Bevorzugung offensichtlich. Im Februar 1911 lief in beiden Kinos “‘Die weiße Sklavin’. Die Tragödie unserer Kultur. Herausgegeben zur Förderung der Interessen des Vereins zur Bekämpfung des weißen Sklavenhandels. Eine Warnung für alle jungen Mädchen, Frauen, Männer. Frei von jeder Frivolität. Dargestellt von nordischen Künstlern.” Der ca. 1.000 Meter lange Film lief eine Stunde. Illustrierte Textbücher waren an der Kasse erhältlich. (Dieser Film war nicht identisch mit dem gleichnamigen vom November 1910).

Im April 1911 folgte “Versuchungen der Großstadt”, im Mai 1911 “‘Das gefährliche Alter’, das große Sittendrama in 2 Abteilungen und Meisterwerk der Aufnahmetechnik“, im Juli 1911 “‘Eine tolle Nacht. Großstädtische Sittenkomödie in 2 Abteilungen. Einblicke in das Nachtleben einer Millionenstadt. Gespielt vom Revuetheater Kope nhagen.” Im Juli 1911 verursachte ein großes Sozialdrama von G. Gerard “Die Opfer des Alkohols” große Betroffenheit, aber auch den Beifall der Wissenschaft. Selbst der französische Leiter der antialkoholischen Bewegung Dr. Legrain bekundete höchste Anerkennung. Im Dezember erschütterte “Die Asphaltpflanze” mit Rauschgiftexzessen, eine Produktion der Königlichen Hofbühne Kopenhagen, das Publikum. In beiden Kinos dominierten ausländische Produktionen. Nur zwei besondere seien stellvertretend erwähnt: 1911 zeigte man den einstündigen Streifen “Der Kurier von Lyon” und den Kunstfilm “König Lear, Meisterwerke der weltberühmten Firma Pathe Freres Paris mit ersten Pariser Künstlern”.

Wie alle anderen Erfurter Kinos waren auch “Apollo” und “Edison” ab 1914 mit historischen kriegerischen Reminiszenzen der ganzen Welt sowie mit aktuellen Berichten von allen Kriegsschauplätzen und Waffengattungen übermäßig versorgt. Im März 1915 griff ein Film “Julius Cäsar ” weit zurück, zeigte “den größten Soldatenkaiser der Weltgeschichte, den genialsten Eroberer, den Abgott seines Heeres und unvergleichlichen Imperator”. Ca. 7.000 Mitwirkende, 6 Akte, Filmlängen von 2.400 Meter verrieten Rekorde. Manchem aktuellen Titel wurde ein beschwörendes Motto beigegeben wie: “Ein Land, das solche Männer hat, muß gegen eine Welt von Feinden siegen”. Im Mai 1915 zeigten die vereinigten Lichtspieltheater Apollo, Bioskop und Volkskino “‘Die Schrecken der Fremdenlegion’, eine Warnung für jeden Deutschen, ein Mahnruf an unsere Jugend, Eltern, Lehrherren, Vormünder. Öffnen Sie beizeiten dem Jungblut die Augen durch Veranschaulichung dieses glänzend kritisierten Filmwerks”. Daneben versicherte eine Werbeannonce der “Thüringer Allgemeinen Zeitung” vom 4. September 1914: “obige Theater bringen keine französischen und englischen Filme zur Vorführung.” Auch Pariser Salonmusik, wie sie vom Erfurter “Maxim-Theater” längere Zeit gepflegt wurde, war längst in Ungnade gefallen. Belehrende wissenschaftliche Vorführungen belebten im Übrigen das Angebot. lm Juli 1911 zeigte man “‘Der Panamakanal im Jahre 1911’, ein Meisterwerk der modernen Technik”, im Oktober 1911 “Büffel- und Elefantenkämpfe” und im November des gleichen Jahres “Ausbruch des Ätna” und “Die Ankunft des Zeppelin-Luftschiffes ‘Schwaben’ in Gotha”. Die Tagespresse hatte schon am 6. September 1911 lukrative Angebote offeriert: Tägliche Passagierfahrten mit dem Zeppelin vom 6. bis 9. September, etwa zweistündige Rundfahrten von rund 100 Kilometern für 200 Mark pro Person und eine Fernfahrt von Gotha nach Berlin für 500 Mark pro Person.

Beiprogramm zeigte Gaumont-Wochenschauen “mit aktuellen Tagesereignissen aus aller Welt”

Dass die mehrfach veröffentlichte Bemerkung, nur die Theater “‘Apollo’ und ‘Bioskop-Scherff’ sind in der Lage, alle Ereignisse am schnellsten im Bild wiederzugeben” zutreffend war, zeigen zwei Beispiele. Das Wintersportfest von Oberhof fand am 22./23. Januar 1911 statt. Es wurde mit eigenen Aufnahmen der Kinos bereits vom 7. bis 10. Februar 1911 in beiden Theatern gezeigt. Seine Königliche Hoheit Herzog Karl Eduard hatte den Wanderpreis für das Bobrennen gestiftet, mit seiner Gattin dem Schauspiel beigewohnt und der Sportler Darsch den Sieg über die 1.900 Meter lange Bahn in einer Minute 57 Sekunden davongetragen. Die Thüringer Flugwoche fand vom 1. bis 7. März 1911 statt und wurde schon am 9. März in den Kinos vorgeführt. Nebenbei sei erwähnt, dass in zunehmendem Maße sportlichen Ereignissen und unterhaltsamen humorigen Darbietungen Raum gelassen wurde. Neben Oberhof interessierte nun auch St. Moritz und sein Winterspor t. Gaumont-Wochenschauen mit aktuellen Tagesereignissen aus aller Welt kamen regelmäßig als Beiprogramme zur Aufführung, tageweise auch so genannte “Lichtschauspiele”. Dramen aus dem wilden Westen fanden stets ihre Programmnischen. Alles scheint willkommen gewesen zu sein, was Spannung verspricht, erschüttert, fesselt und anrührt, zu Einsichten verhilft, Alltag nahebringt oder vergessen lässt.

In der Löberstraße 17/18 kündigt der Kinobesitzer Gustav Heidemann tägliche Vorführungen von lebenden, singenden, sprechenden Photographien auf der silbernen Wand an. Quelle: Stadtarchiv Erfurt.

Künstler namentlich zu erwähnen gehörte vorläufig noch zu den Ausnahmen. Im Dezember 1908 zitierte die Presse drei Hauptdarsteller von Pariser Theatern, zwei vom “Odeon” und einen vom “Vaudeville”. Anlässlich der Aufführung des Films Der König im Oktober 1914 benannten Werbeannoncen wenigstens den Namen des Hauptdarstellers Albert Bassermann, der von 1867 bis 1952 lebte und wenigstens rechtzeitig vor Verfolgungen der Nazis in die Schweiz emigrieren konnte. Nur der Dänin Asta Nielsen gelang, recht früh und intensiv gewürdigt zu werden. Im Winter 1911 sollte sie ihren großen Auftritt im Edison und Kolosseum haben. Im November zeigte man “Brennende Liebe”, den Dreiakter einer Nordischen Produktionsfirma Films Co., außerdem “Der schwarze Traum”, den längsten, teuersten und besten aller bisher gezeigten großen Filme, den Matador unter seinesgleichen in 4 Akten mit ca. 1400 Meter Länge. Die genannten zwei Theater hatten das alleinige Aufführungsrecht für Erfurt und damit Unkosten, die man durch 10 Pfennig Aufschlag pro Eintrittsbillett zu mindern suchte. Noch im November 1911 folgte in dem großen Augenblick und im Dezember “‘Zigeunerblut’, ein Drama in drei Akten”, inszeniert von Urban Grad, dem Verfasser von “Abgründe”, “Heißes Blut”, “Schwarzer Traum”, “In dem großen Augenblick”. Das ehemalige Mitglied des Kopenhagener Hoftheaters Asta Nielsen spielte in allen genannten Streifen die Hauptrolle. Um 1914 gelang der 1891 geborenen Henny Porten, gelegentlich als Deutschlands beliebteste Kinodarstellerin bezeichnet, beispielsweise mit den Filmen “Ihre Hoheit”, “Wankender Glaube”, “Das Opfer”, “Um das Glück betrogen” lobend erwähnt zu werden. Sie galt als erste Kinodiva, nicht allein wegen ihrer Schönheit und Eleganz.

Schwer zu verstehen bleiben die raschen Wechsel aller Erfurter Kinos in punkto gemeinsamer Werbung. Karl Sommer verkündete beispielsweise am 26. August 1911 seine sofortige Trennung vom “Bioskop” und neue Verbindung mit M. von Stachelski vom “Maxim”. Um 1911 warben “Edison” und “Kolosseum” gemeinsam, um 1914 “Apollo” und “Kolosseum”, aber wenig später im Oktober 1914 schlossen sich “Apollo”, “Bioskop” und “Volkstheater” zur Firma “Vereinigte Lichtspieltheater” zusammen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel “Das Apollo-Theater im Wohn- und Geschäftshaus Zum kleinen Schwanentreiber Anger 27 und das Edison-Filmtheater Löberstraße 17/18. Erfurter Kinogeschichte III” in “Stadt und Geschichte: Zeitschrift für Erfurt”, Heft 1/2014, Nr. 56. Er wurde uns freundlicherweise von dem Herausgeber und Autor der Zeitschrift, Eberhard Menzel, für die Veröffentlichung auf diesem Blog zur Verfügung gestellt. Der Artikel wurde aus redaktionellen Gründen um Zwischenüberschriften ergänzt.