Von Prof. Dr. Ruth Menzel

Im Jahr 1909 beschlossen die Bauunternehmer Albert Wagner und Alfred Seegel, im Erfurter Stadtzentrum ein stattliches viergeschossiges Wohn- und Geschäftshaus zu errichten. Wie Adressbücher bestätigen, beabsichtigten sie auch sogleich, dort im Erdgeschoss des Eckgebäudes von Krämpferstraße und Fleischgasse ein Kinematographentheater unterzubringen.

Bereits 1909 entstand das Kinephontheater Kolosseum mit 266 Klappstühlen. Quelle: Stadtarchiv Erfurt, Anzeige vom 26. Dezember 1910.

Ein Lichtspielhaus in bester Lage zum Zentrum der Stadt

Schon am 13. September 1909 entstand für den Kinosaal entlang der Fleischgasse ein Grundrissentwurf. Diesem zufolge verlief der Besucherverkehr vom Haupteingang Krämpferstraße über einen kleinen Vorplatz an zwei Kassen und der Bühne vorbei in den lang gestreckten Vorführraum mit 266 Klappstühlen in unterschiedlich langen Reihen von 10, 11 und 12 Stück. Herren- und Damentoiletten sowie Notausgänge waren an der gegenüberliegenden Breitseite vorgesehen. Für die Eröffnung des Kinos bestimmten die Bauherren den 1. Dezember 1909. Ob dieser Termin exakt eingehalten wurde, verschweigen die Bauunterlagen, aber sie vermitteln, dass der Kinobesitz bereits im Februar 1911 an Hermann Schumann und der des Grundstücks an Rentier Otto Bauke wechselte. Dies verrät vor allem eine weitere Grundrisszeichnung vom 16. Oktober 1911. Aus naheliegenden Gründen wurde auch das Kolosseum wie alle anderen Erfurter Kinos regelmäßig strengen Sicherheitskontrollen unterzogen. Besondere Beanstandungen traten jedoch nicht zutage. Anzunehmen bleibt, dass die günstige Lage in Nähe der belebten Angerpassage und entsprechender Lokalitäten den Kundenzulauf begünstigte.

Ein behaglicher Erholungsplatz für die Besucher

Das Eckgebäude Krämpferstraße 62 / Fleischgasse: ehemals Standort des Kinos Kolosseum. Foto: E. Menzel.

Nach Auskünften Erfurter Augenzeugen und Presseberichten galt dieses Lichtspieltheater mindestens bis 1911 als größtes der Stadt, ehe Standorte mit mehr als 350 Plätzen nachrückten. Im Dezember 1910 verbreitete die Presse den Slogan „Nach Kolosseum müssen wir gehen und die scharfen plastischen Bilder sehen“. An anderer Stelle hieß es, das Kolosseum sei das „behaglichste Kinephontheater in Erfurt, wegen guter Ventilierung ein Erholungsplatz für jeden Besucher“. Besitzer Schumann verkündete 1910: „Die Größe meines Theaters bietet jedem Besucher einen angenehmen Aufenthalt. Die Bilder werden durch Musikpiessen von meinem Künstlerquartett begleitet“. Gemeint waren musikalische Einlagen.

Jeden Mittwoch und Sonnabend ein neues Programm

1911 war in Tageszeitungen zu lesen: „Wegen stets hervorragender Programme sind Kolosseum und Edison die bestbesuchtesten Theater am Platz“. Von „einer 20 Mann starken Theaterkapelle“ war im November 1914 die Rede und im Januar 1916 „von neuer Musikbegleitung, welche sich dem Charakter des Bildes anpasst“. Um 1910 wechselte man jeden Mittwoch und Sonnabend mit einem vollständig neuen Programm. Sonntags liefen ab 14 Uhr und wochentags ab 16 Uhr Vorstellungen für die Jugend. 1911 galt hier wie im Edison-Theater die Weisung: „Kinder haben auch ohne Begleitung Erwachsener bis 7 Uhr (19 Uhr-R.M.) Zutritt zu unseren Theatern“. Zu Festtagen wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten überraschten die Veranstalter mit Dekorationen, exklusiven Programmen und ermäßigten Preisen. Programmangebote erschienen regelmäßig in verschiedenen Tageszeitungen.

Kolosseum vernetzte sich mit anderen Erfurter Filmtheatern

Zeitweise warb das Kolosseum gemeinsam mit Edison, um 1911 mit Union­Theater, 1914 mit Bioskop und Apollo, dann 1914/16 allein, auch vereint mit dem Roland-­Theater und schließlich mit dem Volkskino. Nach welchen Kriterien sich diese Koppelungen bildeten und rasch änderten ist schwer zu deuten, zumal in allen Erfurter Kinos dauerhaft weitgehend übereinstimmende Programmmischungen angeboten wurden. Kinos mit exklusiven Konzepten konnten sich erst später mit Tonfilmen etablieren. Indirekt verraten häufig verwendete Verben in den Kurzkommentaren über Inhalte, welche Wirkungen Programmgestalter beim Publikum zu erreichen suchten. Dafür wenige Beispiele: „Tief ergreifend, rührend, lehrreich, hochkomisch, dem Leben abgelauscht, grotesk, köstlich“. Dass man dieses Altstadt-Lichtbildtheater mit dem anspruchsvollen Namen Kolosseum bedachte und sich damit auf das antike, im Jahr 80 nach der Zeitenwende gebaute Amphitheater für Tier- und Gladiatorenkämpfe in Rom mit etwa 50.000 Sitzplätzen bezog, zeigt das überschwängliche Bedürfnis, die Bedeutung neuer Kulturstätten hervorzuheben. Auch die Bezeichnungen Kinopalast oder Lichtbild-Theater und nicht zuletzt Panorama-Theater verraten die Absicht, zu nobilitierten, bis sich die Neuheit mit neuem sachlichem Begriff Kino durchsetzte.

Den zweite Teil des Beitrags von Prof. Dr. Ruth Menzel finden Sie bereits auf unserem Blog. Darin geht es unter anderem um die Programme des Kolosseum-Kinos, eine Erfurter Kinopremiere und den Standort des bis 1923 existierenden Lichtspielhauses.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel “ Das Filmtheater Kolosseum in der Krämpferstraße 62a, das Central-Theater in der Magdeburger Straße 89 und die Lichtspiele Alter Fritz Erfurt-Nord Magdeburger Straße 46. Erfurter Kinogeschichte V” in “Stadt und Geschichte: Zeitschrift für Erfurt”, Heft 3/2014, Nr. 58. Er wurde uns freundlicherweise von dem Herausgeber und Autor der Zeitschrift, Eberhard Menzel, für die Veröffentlichung auf diesem Blog zur Verfügung gestellt. Der Artikel wurde aus redaktionellen Gründen um Zwischenüberschriften ergänzt.