Im ersten Teil der weitreichenden Recherchen von Prof. Dr. Ruth Menzel ging es um die ersten Erwähnungen des “Kolosseum”-Kinos in der Krämpferstraße. Im zweiten Teil ihrer historischen Aufbereitung geht es die Programmhighlights des frühen 20. Jahrhunderts und was im Laufe der Zeit aus dem einstigen Film-Ort wurde.
Von Prof. Dr. Ruth Menzel
Die Programme des Kolosseums zeigten fast seine gesamte Existenz eine enorme Vielseitigkeit. Nur während des Ersten Weltkriegs bedrängten Kriegsfilme die Szene. Wie auf anderen Bühnen wurden auch hier historische wie aktuelle Stoffe angeboten. Im August 1914 lief das Kriegsdrama „Aus Preußens schwerer Zeit“, im Oktober erinnerte der Streifen „Das treue deutsche Herz“, eine Erstaufführung für Erfurt, an den preußischen Major Ferdinand von Schill, der 1809 im Stralsunder Straßenkampf zu Tode kam.
Filme über die Leipziger Völkerschlacht
Im Dezember 1914 veröffentlichte die Thüringer Allgemeine Zeitung ein auffälliges großes Inserat für die Theater Kolosseum und Roland zum Film „Das Volk steht auf“ mit Episoden aus der Zeit zwischen 1806 und 1813 in 6 Akten mit einer Spieldauer von circa zwei Stunden. Dazu entstand eine ungewöhnlich umfangreiche Inhaltsangabe mit politischen Akzenten, die ansonsten nur erstaunlich zurückhaltend geäußert wurden. Dort hieß es unter anderem „Schlachtenszenen, die in der Gegend von Jena und Leipzig spielen, Szenen, die in dieser Art auf der Bühne überhaupt nicht vorzuführen sind. Wundervoll und historisch getreu wird der Verlauf der gewaltigen Völkerschlacht gezeigt in der Napoleons Herrschaft in Deutschland zerschmettert wurde. Das Losringen des Deutschtums aus welchem Joch, das Brausen der Schlachten, der endliche Sieg, wer mag darin nicht Vorzeichen für unsere heutigen Tage sehen! Die großen Männer, die sich in jener Zeit für ewig ein Ruhmesblatt in der Geschichte Deutschlands geschaffen haben, erstehen vor den Augen der Zuschauer“.
Militärkomödien, Detektiv-Dramen und Regionalgeschichten
Einerseits beabsichtigen die Filmproduzenten patriotische Gesinnung zu fördern und Begeisterung zum angeblichen Wohl des Vaterlandes zu wecken. Andererseits suchten sie mit Humoresken und Schwänken zu trösten und von Tod und Verderben abzulenken. Militärische Komödien wie „Die kleine Residenz“ im August 1914 oder „Amor in Feldgrau“ im Januar 1915 und „Fräulein Feldgrau“ einen Monat später sowie „Das Kriegssofa“ verursachte stürmische Lacherfolge. Ansonsten drängten die ständigen neusten Kriegsberichte von allen Fronten in die raue und triste Wirklichkeit zurück. Am Rande unterhielten 1916 soziale Schauspiele wie „Absinth oder ein Tropfen Gift“ das Publikum. Die Presse kommentierte „dieses Giftgetränk ist der Mörder der französischen Nation“.
Das Sittendrama „Dunkle Existenzen“ und das Dedektiv-Drama „Im Banne fremden Willens“ rissen zu Tränen hin. Als eine Neuheit stellten sich 1916 einige regionale Betrachtungen vor: im Juni „Grimma in Sachsen“, im Juli „Aue bei Ronneburg“, im August „Von Schierke nach Wernigerode“ und im Oktober „Freiburg an der Unstrut“. Möglicherweise hatte man im Dezember 1915 mit der Zweikarte „Der Graf von Gleichen, eine deutsche Sage in Bildern von unserem Thüringer Lande“ den Anfang gesetzt. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, summierten sich nun in den Werbeannoncen auch allmählich die Namen hervorragender Schauspieler und Regisseure. 1915 fand Henny Porten erbeute Erwähnung, im März mit dem Streifen „Alexandra“ und im April mit „Das Ende vom Lied“.
Als Theaterregiesseure auch Filmgeschichten schrieben
Im Juni 1915 nannte man Paul Wegener in der Hauptrolle des Werkes „Der Golem“. Ein Kurzkommentar setzte hinzu „die Geschichte eines altjüdischen Götzenbildes“. Wegener lebte von 1874 bis 1948 und gehörte zweifellos zu den namhaften Bühnen- und Filmschauspielern Deutschlands. Im November 1914 benannte man Albert Bassermann in „Das Urteil des Arztes“, im Januar 1915 Harry Liedke vom Deutschen Theater Berlin im Drama aus dem Künstlerleben „Harry Raupach“ und im Januar 1916 Olga Desmond mit dem Kunstfilm „Nocturno“. Das Kolosseum zeigte mehrere von Harry Piel inszenierte Streifen: im September 1918 „Das amerikanische Duell“ und „Zur Strecke gebracht“, im Oktober 1918 „Das geheimnisvolle Telephon, im Januar 1919 „Die geheimnisvolle Gräfin“ und „Sein Todfeind“ sowie in Februar1919 „Der stumme Zeuge“. Es folgten bis 1921 „Um eine Million“, „Das fliegende Auto“, die Geheimnisse der Zirkus Barré“ und „Die Millionen-Mine (Regie) sowie „Der Verächter des Todes“. Dieser vielseitige Künstler (1892-1963) gehörte in verschiedener Hinsicht zu den Ausnahmen. Er gelangte ohne Vorstation an Theaterbühnen direkt zum Film, unterhielt eine eigene Produktionsfirma, verfasste die Drehbücher alle seiner Filme selbst und wirkte neben persönlichen Auftritten seit 1923 auch als Regisseur.
Lichtspielhaus hielt sich bis 1923 in enger Umgebung zum Anger-Warenhaus
Nur eine kleine Pressenotiz vom Oktober ließ wissen, was Schauspieler damals verdienten. Ein Fräulein Polaire hätte für ihre Hauptrolle im Film „Angstgefühl“ von einer Düsseldorfer Filmfabrik 15.000 Mark Honorar für eine Woche Spieldauer erhalten. Dies sei die höchste bisher gezahlten Gage. Leider vergaß man, zeitliche und örtliche Vergleiche zu erwähnen. Manche Veranstalter nutzen Meinungen bekannter adliger über Filmprodukte als nachdrückliche Werbeeffekte. So veröffentlichte die Thüringer Allgemeine Zeitung vom 13. Juni 1914, man hätte das Hochstapler- und Detektivdrama „Hiawotha“ seiner Majestät Kaiser Franz Joseph I. von Österreich und seinem Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand vorgeführt. „Die höchsten Herrschaften spendeten diesem Bild reichen Beifall und bezeichneten es als ein Meisterwerk“. Manchmal halfen auch andere Mittel, den Werbungen Nachdruck zu verleihen.
So erhielt das Werk „Das geheimnisvolle X“ im Mai 1916 den Zusatz: „es wurde vor kurzem in dem vornehmsten Olympia-Theater zu Dresden zirka 14 Tage mit größtem Erfolg vorgeführt“. Und den Film „Nelly“ vom April 1916 krönte die Bemerkung „im vornehmsten Lichtspiel-Palast in Leipzig (Königs-pavillon) in 14 Tagen von 44.000 Augen besichtigt“. Ab 1917 galten Max Francke und seit 1921 vermutlich Carl Liebrich als Besitzer des Kolosseums. Lebenszeichen dieser Lokalität lassen sich auch noch 1923 ermitteln, aber danach schlossen sich vermutlich die Pforten zugunsten kaufmännischer Raumnutzungen. Mit dem Aus- und Umbau des benachbarten ehemaligen Kaufhauses Centrum Warenhaus am Anger folgte ab August 1999 der restliche Abriss des Grundstücks Krämpferstraße. Schon früher waren an der Fleischgasse gegenüber eines weiträumigen Parkplatzes Teile des einstigen Kinos beseitigt worden.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel “Das Filmtheater Kolosseum in der Krämpferstraße 62a, das Central-Theater in der Magdeburger Straße 89 und die Lichtspiele Alter Fritz Erfurt-Nord Magdeburger Straße 46. Erfurter Kinogeschichte V” in “Stadt und Geschichte: Zeitschrift für Erfurt”, Heft 3/2014, Nr. 58. Er wurde uns freundlicherweise von dem Herausgeber und Autor der Zeitschrift, Eberhard Menzel, für die Veröffentlichung auf diesem Blog zur Verfügung gestellt. Der Artikel wurde aus redaktionellen Gründen um Zwischenüberschriften ergänzt.
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