Vom gefeierten Filmpalast der DDR zum Programmkino in Berlin Mitte. Eine kurzweilige Chronologie der Geschichte des “Kino International”.

Der Bau hatte die Funktion eines Begegnungszentrum für den Kiez in Berlin. Quelle: Bundesarchiv/ Puhlmann, 1967 (koloriert von Kathleen Kröger).

Von Kathleen Kröger

Ein Kino, eine Stadtteilbibliothek mit 10.000 Büchern und ein Fernseh- und Clubraum: Die Anforderungen an den Kinoneubau an der Ostberliner Karl-Marx-Alle, der später “Kino International” heißen soll, waren vielseitig wie anspruchsvoll. Als funktionales Mehrzweckgebäude für den Berliner Stadtteil geplant, gingen die Bauarbeiten am 15. März 1961 an den Start. Nach dem Vorbild sowjetischer Arbeiterklubs [1] entstand so ein Stadtteilkino, das mit 600 Sitzplätzen und seiner architektonischen Gestaltung mehr sein sollte als “nur” ein Lichtspielhaus.

Nach den Plänen des Architekten Josef Kaiser sollte das Filmtheater weniger die nationale Tradition des Bauens widerspiegeln, sondern die Moderne der neuen Gesellschaftsbauten hervorheben. [2] “Die breite Glasfront des Foyers ist asymmetrisch durch die eingefügte Plakatwand geteilt; oberhalb der Glasfront verdeckt eine Wellblechschürze den Dachraum über dem Foyer, auf dem Wellblech ist beiderseits der Plakatwand in Versalien der Name ‘KINO INTERNATIONAL’ angeordnet, die asymmetrische Anordnung der Plakatwand in der Glasfront ergibt sich aus der ungleichen Länge beider Wörter, zwischen denen die Plakatwand hängt”, heißt es über den DDR-Prachtbau in Dietrichs Worbs im Jahr 2014 veröffentlichter Publikation “Das Kino International in Berlin”.

Ein Premierenabend mit Startschwierigkeiten

Mit der “Optimistischen Tragödie” wurde das Kino dem Publikum übergeben. Quelle: ©️DEFA-Stiftung

Auf besagter Werbefläche sollte nach zwei Jahren Bauzeit im Herbst 1963 schließlich das erste Plakat im XXL-Format zu sehen sein. Mit der UdSSR-Produktion “Optimistische Tragödie” eröffnete das Kino am 15. November 1963 seinen Lichtspielbetrieb. In den Foyers des Hauses und im Kinosaal im Obergeschoss des Prestigebaus waren neben Walter Ulbricht auch Regisseur Samson Samsonow und Schauspieler aus der Literaturverfilmung des Schauspiels von Wsewolod Wischnewski zu Gast. Wie unglückliche Zufälle manchmal so spielen, gab es ausgerechnet an diesem bedeutsamen Premierenabend kleine Komplikationen, wie in Worbs Buch zu lesen ist:

“Die Aufführung des Films bei der Eröffnung stand technisch unter keinem glücklichen Stern. Die Kopie des synchronisierten Films wurde erst im allerletzten Moment fertig und in noch feuchtem Zustand vom Kopierwerk ins Kino “International” geliefert. Die frische, noch nasse und deshalb sehr schwere Kopie des 70-mm-Films ließ sich nur mühsam in der Spur halten, so daß die Projektion mehrmals den Anschein erweckte, der Film sei gerissen. Die beiden Vorführer im Bildwerferraum – umgeben von kontrollierenden Staatssicherheitsleuten – hatten alle Hände voll zu tun, um das Vorführgerät in Gang zu halten und den Film zu projizieren. Die vielen technischen Pannen während der Vorführung erbosten den Ersten Sekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzenden dermaßen, daß er wütend das Kino verließ, nachdem er vorher noch an der Garderobe beim Anziehen des Mantels seinem Unmut mit der rhetorischen Frage an die Umstehenden Luft gemacht hatte: ‘Und das soll nun die neue Technik sein, ja?'” [4]

Dieser kleine Fauxpas hinderte das Publikum jedoch nicht daran, das neue Kino in der damaligen Stalinallee weiter zahlreich zu besuchen. So hatte das “International” in den restlichen Wochen des Jahres 1963 eine Auslastung von 65 Prozent. [5]

Manfred Krug muss Sophia Loren weichen

Die 2. Filmwoche der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) in der DDR wurde am 25.7.1967 im Filmtheater International eröffnet. Quelle: Bundesarchiv/Franke, 1967.

Nur drei Jahre später sorgten weitaus tragendere Ereignisse für Unruhe im Kino. “Die Spur der Steine” feierte am 30. Juni 1966 Premiere. Es ranken sich vielerlei Gerüchte um den Abend der Erstaufführung. Die Plakate und Fotos mussten aus den Schaukästen vor den Eingangstüren des Hauses entfernt werden. Sogenannte „Störer“ sollten die Filmvorführung mit Rufen unterbrechen, um das Schauen des Streifens zu erschweren. Auch von Prügeleien und sogar einer Schießerei ist in diesem Zusammenhang die Rede. [6]

Mit der Unterstellung “antisozialistischer Tendenzen” wurde der Film schließlich aus dem Programm genommen. Statt des beliebten Schauspielers Manfred Krug sollte im “Kino International” nun lieber Sophia Loren in “Gestern, heute, morgen” über die Leinwand flimmern.

Ein Ort für Film, Literatur und Musik

Neben der jährlichen “Woche des Buches”, in denen Schriftsteller wie Franz Fühmann und Erwin Strittmatter zu Gast in den Bibliotheksräumen des Mehrzweckgebäudes waren, zog ab 1969 auch die Gesangsbewegung “Oktoberclub” in das Lichtspielhaus ein, um dort zu proben.

Der Premierenabend war der Betriebsstart für das bis dato mordernste Lichtspielhaus Ostberlins. Quelle: Bundesarchiv/Horst Sturm, 1963.

Trotz der hohen Besucherfrequenz des Hauses mit seinen vielen Einzelfunktionen blieb auch hier der allseits beklagte Besucherrückgang nicht aus: “Die Zuschauerzahlen lagen 1983 bei 388.000 Besucher, […]1988 bei 370.000 [und] nach der Wende 1994 bei 264.000 Besuchern.[…] Seit 2000 besuchen zwischen 100.000 und 150.000 Gäste im Jahr das ‘International.'” [7]

Vom Premierenpalast zum Programmkino

Nachdem in den 1980er Jahren rund 20 Filme pro Jahr gezeigt wurden – darunter auch experimentelle Stücke und Kurzfilme [8] – wechselte der Lichtspielbetrieb über die Wendezeit bis 1992 vom Premieren- zum Programmkino mit kleinerem, wohlüberlegtem Spielplan.

Seit 1990 steht das “Kino International” und die Gesamtanlage der zeitgleich als Ensemble errichteten Bauten wie das Restaurant Moskau und das Hotel Berolina unter Denkmalschutz. [9] 2001 zog schließlich die bis dahin im Kino gelegene Stadtteilbibliothek aus und wurde als Diskothek umgestaltet. Seit 2012 gibt es einen neuen Betreiber, der sich um Filme im Originalton mit Untertiteln bemüht. [10]

So besteht der als Film- und Stadteilpalast gebaute Kinobau in seiner Grundfunktion bis heute fort und bleibt auf diese Art weiterhin ein wichtiger Anlaufpunkt für Film- und Kinointeressierte.

Waren Sie zu DDR-Zeiten im Kino International? Welche Erinnerungen haben Sie an Filme und Schauspieler*innen? Waren Sie vielleicht sogar bei einer Premierenfeier dabei? Teilen Sie jetzt Ihre Kinoerlebnisse auf unserer virtuellen Forschungsplattform und helfen Sie uns, diese einmalige Kinokultur vor dem Vergessen zu bewahren: https://projekte.uni-erfurt.de/kinoinderddr/.

Einzelnachweise:

[1] Vgl.: Worbs, Dietrich, “Das Kino International in Berlin”, Deutscher Kunstverlag, 2014. S.45.

[2] Vgl.: ebd. S.54.

[3] S. 52.

[4] aus den Erinnerungen eines Zeitzeugen. ebd. S.96.

[5] Vgl.: S.48.

[6] Vgl.: S.101.

[7] Vgl.: S.133.

[8] Vgl.: S.110.

[9] Vgl.: S.128.

[10] Vgl.: S.132.