Akribisch tippen Beeke Müller (20) und Martin Schlobach (24) Zeile für Zeile Code in ihre Laptops ein. Geschätzte 500 Arbeitsstunden haben sie bereits für die Entwicklung eines Prototyps der virtuellen Forschungsumgebung aufgebracht, mehr als 8000 Zeilen Code geschrieben. Mit Hochdruck arbeiten sie derzeit an der Fertigstellung einer ersten öffentlichen Version der digitalen Plattform zum Projekt „Kino in der DDR“. Über die Plattform sollen interessierte Bürgerforscher*innen Kinos verorten, Fotoaufnahmen hochladen und ihre privaten Erlebnisse teilen können. Wir haben beide zu einem Interview eingeladen, um über die Herausforderungen ihrer täglichen Arbeit als Informatiker*innen im Projekt zu sprechen.

Ihr kommt ja beide aus Ilmenau; wie seid ihr eigentlich auf das Kino-Projekt in Erfurt aufmerksam geworden?

Beeke Müller: Im Sommersemester 2019 gab es ein Kooperationsprojekt zwischen der TU Ilmenau und Lehramtsstudierenden der Universität Erfurt. Das Softwareprojekt wurde von René Smolarski, einer der Co-Projektleiter*innen des Kino-Projekts, betreut. Aufgrund der guten Zusammenarbeit hatte er mir dann die Stelle angeboten.

Martin Schlobach: Ich nahm ebenfalls im vergangenen Jahr an dem Softwareprojekt teil. Wir entwickelten damals eine interaktive Karte der Stadt Meiningen, auf der sich historische Sehenswürdigkeiten eintragen ließen. Die Inhalte wurden dann noch didaktisch von den Lehramtsstudierenden aufbereitet. Ein ähnliches Kartenmodul soll auch im Kinoprojekt eingesetzt werden, sodass uns hier die bereits gesammelten Erfahrungen zu Gute kommen.

Der Kontakt war da, Interesse auch – das klingt nach den besten Voraussetzungen für den Job.

Martin Schlobach: Ich bin ja prinzipiell jemand, der gern über den Tellerrand hinausschaut. An der TU Ilmenau bewegt man sich größtenteils in diesem Dunstkreis von Informatiker*innen und Techniker*innen. Für das Studium ist das zwar von Vorteil, weil jeder ungefähr die gleichen Interessen und Kenntnisse mitbringt. In der Praxis ergibt sich jedoch oftmals ein anderes Bild. Hier arbeitet man mit Personen zusammen, die einen geistes- oder wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund haben. Unser Projektteam ist ebenfalls sehr heterogen, was das Ganze erst so richtig interessant macht. Es besteht aus Historiker*innen, Kommunikationswissenschaftler*innen und Informatiker*innen, die zusammen an einer gemeinsamen Fragestellung arbeiten. Meiner Meinung nach kann ich hier praxisnahe Erfahrungen sammeln, die auch für mein berufliches Fortkommen wichtig sind.

Beeke Müller: Ich konnte mich von Anfang an für den innovativen Ansatz des Projekts begeistern. Unter Geschichtswissenschaft habe ich früher vor allem das stundenlange Wälzen von Büchern und altertümlichen Schriften verstanden. Unser Projekt gestaltet Geschichte allerdings interaktiv. Wir entwickeln die Plattform ja ausdrücklich für eine interessierte Öffentlichkeit, die ihre Erinnerungen an Kinobesuche in der DDR mit uns teilen möchten. Damit wagen wir uns aus dem viel beschworenen Elfenbeinturm der Universität heraus und machen Forschung für Bürger*innen zugänglicher und transparenter.

Informatik ist ja ein weites Feld; wie können wir uns eure alltägliche Arbeit vorstellen?

Martin Schlobach: Wir sind für die Entwicklung und Konzeption der Kino-Plattform und der dahinterliegenden Strukturen zuständig. Elementare Funktionen der Plattform werden dabei über eine zentrale Instanz gebündelt. Hierzu zählen beispielsweise die Nutzerverwaltung oder das Dokumentenarchiv. Dieses Grundgerüst soll dann auf weitere Forschungsprojekte übertragbar sein, sodass wir nicht noch einmal bei Null anfangen müssen. Dass die Plattform auch nach Ablauf des Kino-Projekts genutzt werden kann, ist für uns überaus wichtig.

Und wie soll die Plattform dann funktionieren?

Martin Schlobach: Vom Prinzip her ist es eine normale Seite, die nach der Freischaltung orts- und zeitunabhängig von den Anwender*innen im Internet abgerufen werden kann. Zu Beginn stehen den Bürgerforscher*innen drei verschiedene Funktionen zur Verfügung. Im Kartenmodul können zum Beispiel ehemalige Kinostandorte eingetragen werden mit dem Ziel, die ostdeutsche Kinolandschaft zu rekonstruieren. Weiterhin haben die Nutzer*innen die Möglichkeit, ihre persönlichen Erinnerungen an Kinobesuche, Spielstätten und Filme über die Plattform verfügbar zu machen. Zudem arbeiten wir auch an einem Dokumentenarchiv. Darüber sollen beispielsweise Fotoaufnahmen von Programmheften, Kinos und Filmdrehs in den Forschungsprozess eingespeist werden.

Beeke Müller: Wir wissen um die Schwierigkeit, unsere Zielgruppe digital anzusprechen. Aus diesem Grund möchten wir die Seite so intuitiv wie möglich gestalten. Eine hohe Nutzerfreundlichkeit und einfache Bedienung ist zentraler Bestandteil der Plattformentwicklung. In naher Zukunft möchten wir daher einige Tests im Umgang mit der digitalen Forschungsumgebung durchführen. Dabei wird überprüft, wie die Nutzer*innen mit der Oberfläche zurechtkommen. Gegebenenfalls werden wir dann noch Anpassungen vornehmen.

Die Validität von Daten ist ein wichtiges Gütekriterium wissenschaftlichen Arbeitens; wie stellt ihr sicher, dass die eingegangenen Informationen auch wirklich korrekt sind?

Martin Schlobach: Über die Qualitätssicherung der Daten haben wir uns umfassende Gedanken gemacht. Sie soll in erster Linie durch eine nachgeschaltete Kontrolle gewährleistet werden. Wird also ein Kino auf der Karte eingetragen, muss dieser Datenpunkt von einer zweiten Instanz auf Richtigkeit überprüft werden. Hierfür setzen wir zunächst auf eigene Mitarbeiter*innen aus dem Projekt. Später, mit fortschreitender Beteiligung, sollen die Teilnehmenden ihre eingegebenen Daten gegenseitig überprüfen. Zu diesem Zweck möchten wir auch spielerische Elemente einbauen, um Nutzer*innen zu motivieren. In der Fachsprache wird dieser Ansatz als Gamification bezeichnet. Vorgesehen ist beispielsweise ein Punktesystem, wonach die Bürgerforscher*innen für die Eintragung und Verifizierung von Daten belohnt werden und in einer Bestenliste aufsteigen können.

Ab wann können die Bürgerwissenschaftler*innen losforschen?

Beeke Müller: Es existiert bereits ein funktionierender Prototyp der Plattform, der aber nur für interne Tests geeignet ist und noch optimiert werden muss. Im Sommer dieses Jahres soll eine erste Betaversion online gehen.

Und wenn die Plattform online ist, habt Ihr erstmal Urlaub?

Martin Schlobach: Mit der Freischaltung der Plattform sind wir als Programmierer*innen keinesfalls arbeitslos. Es wird immer noch kleinere Fehler geben, die behoben werden müssen. Darüber hinaus soll die Plattform noch stark erweitert und um einige Komfortfunktionen ergänzt werden. Außerdem fungieren wir weiterhin als IT-Administrator*innen für die Plattform.

Beeke Müller: Die Ziellinie ist auch nach der Veröffentlichung noch längst nicht erreicht. Wir planen zum Beispiel, die bislang separierten Forschungsmodule miteinander zu verknüpfen. Um das an einem Beispiel zu erläutern: Ein angelegter Erlebnisbericht im Modul für Geschichten soll gleichzeitig einem bestimmten Kinostandort auf der Karte zugeordnet werden und vice versa. Erinnerungen an Filme und Schauspieler könnten dann mit Filmplakaten und Aushangfotos aus dem Dokumentenarchiv vervollständigt werden. In Zukunft soll unsere Plattform die verschiedenen Alltagsgeschichten zum Kino in der DDR für alle digital erfahrbar machen. Wir haben auf jeden Fall noch viele spannende Aufgaben vor uns.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Beeke Müller arbeitet seit November 2019 im Kino-Projekt. Derzeit studiert sie an der TU Ilmenau den Bachelorstudiengang Informatik.

Martin Schlobach ist seit September 2019 im Projekt beschäftigt. Auch er studiert im Bachelor Informatik an der TU Ilmenau.