Von Kathleen Kröger

Im Jahr 1960 wurde im Bezirk Erfurt ein Sonderwettbewerb unter allen Kreislichtspielbetrieben ausgerufen. Ziel der Aktion war es, jenen Kreis auszuloben, der innerhalb des Jahres die höchsten Besucherzahlen für den DEFA-Film “Schritt für Schritt” erzielt. Überraschenderweise ging der Sieg jedoch nicht an die Bezirkshauptstadt Erfurt, sondern an den wesentlich kleineren Kreislichtspielbetrieb Sömmerda. Dem nördlich von Erfurt gelegenen Kreis war es gelungen, “durch gute Agitationsarbeit” fast 30 Prozent seiner Einwohner für den Besuch dieses Films zu gewinnen. Dabei führte Rastenberg mit 45,8 Prozent die Wettbewerbsliste an und erhielt als Preis gepolsterte Sessel für das örtliche Kino. [1]

Rastenberger Kino mit Breitbildformat und Totalvision

Ein Blick in den Saal des Rastenberger Kinos von 1959. Bild: ©Machtans

Die 2500-Einwohner-Stadt Rastenberg hatte erst im Februar 1959 nach einjähriger Bauzeit ein eigenes Kino eröffnet. Das Lichtspielhaus konnte mit neuester Technik auftrumpfen. Filme wurden in Breitbild und Totalvision an die Leinwand projiziert. Auch die Ausstattung der Räumlichkeiten wusste zu überzeugen. So schrieb Gudrun Jahn im April 1959 in der Kultur-Zeitschrift “Der Bote” zur Eröffnung des Rastenberger Kinos: “Durch den in geschmackvollen modischen Farben gehaltenen Kassenraum gelangt man in den Saal mit seinen 266 gepolsterten Sitzplätzen. Die Sperrsitzplätze sind ansteigend erhöht und bieten dadurch gute Sichtverhältnisse. Die schöne Ausgestaltung des Foyers und besonders des Kinosaales beindruckt immer wieder angenehm die Filmbesucher.” [2]

“Das erste mustergültige Kino im Kreis”

Seit dem Ende der 1950er-Jahre hatten sich zahlreiche Lichtspielhäuser in den kleineren Städten und Ortschaften der DDR etabliert – so auch im Dorf Kleinneuhausen. Die damals ca. 620 Menschen zählende Gemeinde im Kreis Sömmerda bekam am ersten Weihnachtsfeiertag 1961 ihr erstes Kino. Wo zuvor verschiedene Räumlichkeiten für Landfilmvorführungen genutzt wurden, die in Sachen Beheizung und Verdunklung oft mangelhaft waren, setzt das fast 140 Gäste fassende Kino neue Maßstäbe: “137 Klappstühle, Heizung, Saalverdunkler, eine einwandfreie Tonwiedergabe [und] eine Bühne mit automatischem Vorhang sorgen für einen erlebnisreichen Filmabend”, berichtet Rolf Wittchen in “Der Bote”. Trotz der 50 im Ort befindlichen Fernsehapparate seien die Besucherzahlen des “ersten mustergültigen Dorfkinos im Kreis” gestiegen, was für die “Qualität der Vorführung und des Raumes“ spräche, so Wittchen weiter. [3]

Großer Andrang vor der “Filmbühne” in Sömmerda. Aufnahme aus dem Jahr 1978. Bild: ©Stadtarchiv Sömmerda

Acht feste Kinos in den Ortschaften

Aber auch andere Orte im Kreis Sömmerda werden in dieser Zeit vermehrt bespielt. In Form von Wanderkinos gelangten die Filme auch in Gemeinden, in denen es kein festes Kino gab. Allmonatlich druckte “Der Bote” ein Kinoprogramm mit allen gezeigten Filmen in der Region ab. Drei Transportfahrzeuge sorgten ab den frühen 60ern dafür, dass die nötigen Apparaturen rechtzeitig zur nächsten Filmvorführung in den jeweiligen Orten eintrafen. “Bei Sonnenschein, Regen und Schnee sind die Vorführer Tag für Tag unterwegs, um den Werktätigen in allen Gemeinden mit dem Film Freude, Erholung und Entspannung zu bringen”, heißt es in einem Beitrag der Februarausgabe 1961. Neben den schon erwähnten Orten Rastenberg und Kleinneuhausen werden dort auch Kleinbrembach, Frömmstedt, Günstedt, Straußfurt, Kindlbrück und Leubingen als Dörfer mit festen und teils grundsanierten Kinos ausgewiesen. [4]

“Filmbühne”, “Volkslichtspiele” und “Kulturhaus Rheinmetall” in Sömmerda

Holzstühle und lange Tischreihen: Die Kinos von damals sind mit den heutigen kaum zu vergleichen. Hier eine Innenaufnahme der “Filmbühne” in Sömmerda gegen Ende der 50er-Jahre. Bild: © Stadtarchiv Sömmerda

Neben diesen acht festen Filmtheatern im Landkreis kommt der Stadt Sömmerda mit seinen drei Kinos eine ebenfalls wichtige kulturelle Bedeutung für das regionale Lichtspielwesen zu. Das “Theater des Aufbaus”, die “Volkslichtspiele” und das “Kulturhaus Rheinmetall” sorgten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die filmische Unterhaltung der Einwohner Sömmerdas. Fast täglich konnte im Kulturhaus jeweils 17 Uhr und 20 Uhr ein Film – ab 1957 sogar das Fernsehprogramm – gesehen werden, was seitens vieler Kinofreunde lang als Konkurrenz zu den Filmtheatern betrachtet wurde. Im Februar 1959 besuchten sogar Schauspieler des Films “Die Kraniche ziehen” eine Vorführung des DEFA-Streifens im “Theater des Aufbaus” und sprachen mit den Bürgern Sömmerdas über ihre Rollen. [5]

Aushangfoto zum Film “Die Kraniche ziehen”. Bild: ©DEFA-Stiftung

Kinosterben auch in der Stadt

Im Oktober 1978 war die “Filmbühne Sömmerda” – wie das “Theater des Aufbaus” später hieß – auch Thema in der Tageszeitung “Das Volk”. Die Autorin Harriett Ferenczi stattete dem Kino einen Besuch ab und begleitete eine Kinderfilmvorführung vom Einlassgong bis zum Ende des Films. Dabei rückte sie in ihrer Reportage auch die Mitarbeitenden des Kinos in den Vordergrund. Mit einem Pressefoto versehen bekommt so nicht nur die Filmvorführerin Irmgard Rommel „ein Gesicht“, sondern auch Alfred Schulz als Verantwortlicher für die technischen Anlagen. [6]

Laut Ferenczi ging jeder Bürger der Kreisstadt Sömmerda “jährlich viereinhalb mal […] ins Kino”. Im Vorjahr, also 1977, seien es nach Zählung der Filmspielstätte insgesamt 87.076 Besucher gewesen. Diese Publikumszahlen konnten sich aber über die nächsten Jahre nicht halten. Von den einst drei Sömmerdaer Kinos blieb zunächst lediglich die “Filmbühne” übrig, bis auch diese im Verlauf des Jahres 1990 ihren Betrieb einstellte. [7]

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Einzelnachweise:

[1] N.N.: “Kreislichtspielbetrieb Sömmerda an der Spitze”, in: “Der Bote”, Ausgabe 1, 1961, S.5.

[2] Jahn, Gudrun: “Rastenberg erhielt ein neueingerichtetes Filmtheater”, in: “Der Bote”, Ausgabe 4, 1959, S.1.

[3] Wittchen, Rolf: “Das Geheimnis eines Lichtspieltheaters. Erstes mustergültiges Dorfkino im Kreis”, in: “Der Bote”, Ausgabe 2, 1962, S.3-5., hier S.3.

[4] N.N.: “Filmische Betrachtungen”, in: “Der Bote”, Ausgabe 2, 1961, S.23-24., hier S.23.

[5] N.N.: “Das Kino in Sömmerda”, in: “Sömmerda. Einblicke in die Geschichte einer Thüringer Kreisstadt 876-2001. Fakten, Zeitzeugen, Entwicklungen”, S.246-248, Erfurt 2001, hier S.248.

[6] Ferenczi, Harriett: “Vor und hinter der Leinwand. Ein Besuch in der Sömmerdaer Filmbühne”, in: “Das Volk”, Ausgabe vom 10.03.1978.

[7] ebd.